Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) zum Referentenentwurf „Gesetz zur Stärkung der Pflegekompetenz“
(Pflegekompetenzgesetz – PKG) vom 03.09.2024
Allgemein
Die DGCC unterstützt vor allem die mit dem Pflegekompetenzgesetz (PKG) verbundene Zielsetzung, die vielfältigen Kompetenzen der Pflegefachpersonen stärker als bislang regional zu nutzen und die heilkundlichen Leistungen nach vorhandener Qualifikation selbstständig in die Versorgung einzubringen. Auf Basis der umfassend geklärten Aufgaben der Pflegefachpersonen sollen weitere Entwicklungsschritte zur leistungsrechtlichen Verankerung führen. Doch entgegen des im Dezember 2023 veröffentlichten Eckpunktepapiers fokussiert der Referentenentwurf PKG wohl eher auf die strukturelle Weiterentwicklung der Pflegeversicherung und die Stärkung kommunaler Netzwerke. Aus Sicht der DGCC kann die Abbildung einer gestärkten Eigenständigkeit im Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) nur ein erster Schritt sein.
Diesem müssen zügig gesetzliche Übertragungen in die Berufsordnung und die Heilkundeübertragungsrichtlinie folgen, um eine patienten- und bedarfsorientierte sowie sektorenübergreifende Versorgungsorganisation komplexer Lebenslagen wohnortnah entsprechend der Versorgungsherausforderungen organisieren zu können. Dabei ist die Verantwortungsteilung zwischen Medizin und Pflege auf der strukturellen Ebene, insbesondere im Krankenhaussektor in der weiterführenden Ausarbeitung in Paragraf 15a zu berücksichtigen.
Seit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung (Pflegeversicherungsgesetz PflegeVG; SGB XI) im Jahr 1995 ist ein komplexes Regelwerk aus Änderungsgesetzen, Verordnungen und Anpassungen entstanden. Mit dem PflegeVG sollte das Risiko der Pflegebedürftigkeit sozial abgesichert und die Versorgung Pflegebedürftiger auf eine neue Grundlage gestellt werden. Im Fokus des SGB XI standen und stehen seit jeher „Pflegebedürftige“ und deren An- und Zugehörige. Im Fokus des SGB XI standen zu keinem Zeitpunkt die Pflegeberufe und ihre Professionsentwicklung. Das SGB XI hätte bereits 1995 den Titel „Versicherung über Basisversorgung“ oder „Versicherung über Alltagsunterstützung“ erhalten sollen anstatt der gewählten Bezeichnung „Pflegeversicherung“. Mit der korrekten Bezeichnung des SGB XI wäre deutlich geworden, dass vorrangig die Themen Wohnen, Hauswirtschaft, Betreuung, sowie finanzielle als auch sozialrechtliche Absicherung für Pflegebedürftige und deren An- und Zugehörige sowie regionale Netzwerkbildung gemeint sind und nicht der Pflegeberuf in all seinen Tätigkeitsfeldern wie beispielsweise im Krankenhaus, in der Rehabilitation oder im ambulanten Bereich. Mangels einer korrekten Betitelung des SGB XI hat sich im politischen und im alltäglichen Sprachgebrauch durchgesetzt, von „der Pflege“ zu sprechen, wenn lediglich das SGB XI gemeint ist. Dadurch ist eine unzulässige Verbindung zwischen SGB XI und dem Pflegeberuf im Sinne einer Profession entstanden. Allgemein festigte sich der Irrtum, dass die Pflegeversicherung nach SGB XI Pflege finanziere und damit auch pflegefachliche Leistungen, Beides ist jedoch falsch.
Die Pflegeprofession wird im Grunde lediglich im Pflegeberufegesetz als Berufszulassungsgesetz adressiert. Aus diesem geht hervor, wer unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen die Berufsbezeichnung(en) führen darf und welche Kompetenzen nach einem staatlichen Examen zu erwarten wären. Die möglichen Kompetenzen und Leistungen bilden sich in Deutschland bis heute nicht in einem Leistungsrecht ab.
Position der DGCC
Die DGCC fördert die Anwendung und Entwicklung von Care und Case Management im Sozialwesen, im Gesundheitswesen einschließlich der Pflege, im Versicherungswesen und in der Beschäftigungsförderung. Darüber hinaus stellt sie die fachpolitischen Interessen ihrer Mitglieder dar und vertritt diese nach außen. Die DGCC stellt eine Plattform und Vertretung für Case Management-Anwendungspraxis, Aus-und Weiterbildung sowie Forschung im Case Management dar.
Die Fachgruppe „Gesundheit und Pflege“ in der DGCC positioniert sich zu dem Referentenentwurf „Gesetz zur Stärkung der Pflegekompetenz“ wie folgt:
Im Pflegeberufegesetz (PflBG) werden im Abschnitt 2 unter Paragraf 4 die vorbehaltenen Tätigkeiten beschrieben. Die pflegerischen Aufgaben umfassen demnach
1. die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs,
2. die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses,
3. die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.
Hier entsteht der Eindruck, dass der Pflegeprozess als inhaltsleerer Regelkreis die einzige pflegefachliche Aufgabe ist. Die Aufgabe und Verantwortlichkeit der Pflegefachberufe ist jedoch die pflegerische Gesundheitsversorgung, deshalb muss dieser Regelkreis gefüllt werden mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
Im Referentenentwurf wird auf der Seite 2 beschrieben: „Der Pflegeberuf ist ein Heilberuf mit eigenen beruflichen Kompetenzen […]. Die vielfältigen Kompetenzen von Pflegefachpersonen sollen daher für die Versorgung stärker als bislang genutzt werden. Pflegefachpersonen sollen künftig neben Ärztinnen und Ärzten auch selbständig weitergehende Leistungen als bisher und insbesondere […] selbständig erweiterte heilkundliche Leistungen in der Versorgung erbringen können. Dies soll insgesamt zu einer Verbesserung der Versorgung, zum Beispiel beim Management chronischer Erkrankungen, auch an den Übergängen und im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung führen, aber auch dazu beitragen, die Versorgung in der Fläche sicherstellen zu können.“
Um zukünftig selbständig heilkundliche Leistungen in der Versorgung erbringen zu können, bedarf es einer Erweiterung des Paragraf 4 im PflBG. Im Paragraf 4a müssen weitere vorbehaltene Aufgaben geregelt werden, die deutlich über die Gestaltung des Pflegeprozesses hinausgehen. Als Grundlage dafür könnte die Häusliche Krankenpflege-Richtlinie herangezogen werden, die in Paragraf 37 SGB V in Verbindung mit der Anlage nach Paragraf 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 und Absatz 7 SGB V geregelt ist. Weiter ist erforderlich, die Richtlinie nach Paragraf 63 Absatz 3c SGB V (Heilkundeübertragungsrichtlinie) in den neu zu schaffenden Paragraf 4a des PflBG zu übertragen. Neben diagnosebezogenen heilkundlichen Tätigkeiten werden Prozeduren bezogene heilkundlichen Tätigkeiten im Teil B dieser Richtlinie beschrieben, die auch eine Anwendung von Care und Case Management im Gesundheitswesen ermöglichen. Case Management und Überleitungsmanagement werden ausdrücklich als heilkundliche Tätigkeiten beschrieben, beispielsweise bei der Auswahl, Festlegung, Beratung und Organisation von Bewegungs-, Mobilisations- und Lagerungsmitteln sowie bei der Medikation und Verbandmaterial (Bedarfserfassung, Beschaffung zur Fortführung der klinischen Diagnostik, Therapie und Indikation). Dazu wird die Bereitstellung sonstiger Pflegehilfsmittel und Medizinprodukte (mit Geräteunterweisung) als heilkundliche Tätigkeit beschrieben.
Die heilkundlichen Tätigkeiten aus den genannten Richtlinien müssen schrittweise in das Berufsrecht der Pflegeprofession übertragen werden, hier empfiehlt sich eine enge Begleitung durch Pflegefachverbände. Auch muss bei der Festlegung der einzelnen heilkundlichen Tätigkeiten der Deutsche Qualitätsrahmen (DQR) beachtet werden, so wie es im Eckpunktepapier vom 19.12.2023 aufgeführt worden ist. Die Fachgruppe Gesundheit und Pflege in der DGCC begrüßt die auf Seite 2 des Referentenentwurfs angeführte Verbesserung der Versorgung, zum Beispiel beim Management chronischer Erkrankungen, auch an den Übergängen und im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung, denn ein wesentlicher Schwerpunkt von Case Management liegt in der Beratung, die offen ist für unterschiedliche methodische und verfahrensbezogene Akzentsetzungen. Die Case Management Leitlinien betonen die Grundlagen der Personenorientierung, die Lebensweltorientierung, die Mehrdimensionalität des Menschen, die Ressourcenorientierung sowie ein Empowerment im Sinne von Selbstbefähigung des Menschen. Das Konzept von Care und Case Management sollte auch in pflegefachlich fundierten Studiengängen als additive Zusatzqualifikation gelten, um nach zertifizierten Standards sowohl ein einheitliches Vorgehen als auch eine angemessene Haltung darstellen zu können.
Auch in diesem Referentenentwurf wird unter Paragraf 8, kommunale Pflegestrukturplanung auf Länderebene, deutlich, dass Strukturkomponenten wie Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren und Gesundheitsregionen, ursprünglich im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) angedacht, wichtige Settings bilden, um mit Eigenständigkeit der professionellen Pflege und zusammen mit Care und Case Management den Versorgungs- und Ressourcenherausforderungen begegnen zu können. Die Fachgruppe unterstützt weiterhin die versorgungsrelevante und sinnhafte Implementierung von Gesundheitskiosken mit dem oben angeführten Ansatz von Care und Case Management. Bei entsprechender Ausgestaltung von Berufs- und Leistungsrecht ist der Vorwurf einer Doppelstruktur dann auch nicht mehr gegeben. Weiter fordert die Fachgruppe in Bezug auf Paragraf 118a, dass sich der Spitzenverband Bund der Pflegekassen gemeinsam mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen verpflichtet, wissenschaftliche Expertisen zu beauftragen, deren Ergebnis ein sektorenübergreifender Katalog der Aufgaben von Pflegefachpersonen auf Grundlage vorhandener Qualifikationen ist und somit den Paragraf 39 (1a) SGB V als sektorenübergreifendes Case Management in die Regelversorgung aufzunehmen. Die Fachgruppe unterstützt ein interprofessionelles Care und Case Management, betont jedoch, dass die Bedarfserhebung und Beratung dabei von dem zuständigen Gesundheitsberuf angeboten werden müssen. Zukünftig muss die Versorgungsforschung einen größeren Stellenwert bekommen, um die Versorgungsqualität effizient zu verbessern, hierbei sollte die DGCC mit den Case Management-Leitlinien stärker eingebunden werden. Für die Festigung des evidenzbasierten Fundaments ist eine Verankerung valider Forschung – analog zu den anderen Professionen im Gesundheits- und Sozialwesen – unerlässlich. Der definierte Auftrag erfordert insbesondere den Fokus auf kontinuierlicher empirischer Forschung, um auch in Zukunft adäquate Antworten auf die prognostizierten dynamischen Anforderungen zu generieren.
In Bezug auf Paragraf 8 des Referentenentwurfs sollen zur Erstellung wissenschaftlicher Expertisen sowie ihrer Durchführung maßgeblichen Organisationen der Pflegeberufe auf Bundesebene nach Paragraf 118a eingebunden werden. Weitere geeignete Fachorganisationen, wie auch die DGCC, können sich an der Erstellung der Expertisen beteiligen und durch die Beteiligung an adäquater (Versorgungs-)Forschung wertvollen und validen Input zur Wirksamkeit der Case Management Methodik liefern.