Deutsche Gesellschaft für Care und CaseManagement
 
Case Management der vierten Generation oder: The Next Generation CM

Case Management der vierten Generation oder: The Next Generation CM

Prof. Dr. Peter Löcherbach NewsletterDer Handlungsansatz CM findet seit Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts Verbreitung – im letzten Jahrzehnt mit und durch die DGCC. Die
ersten dreißig Jahre hat Wolf Rainer Wendt in seinem Beitrag vorgestellt, die folgenden zehn sind Gegenstand dieser Betrachtung. Es handelt sich dabei um die Schriftfassung des Vortrages, den der Autor im Rahmen der Jahrestagung der DGCC in Köln am 26.06.2015 gehalten hat.

Den gesamten Beittrag gibt es auch als PDF zum Download.

Vorwort

Es ist nach zehn Jahren Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) an der Zeit, zurück und nach vorne zu blicken. Die DGCC begreift sich als interdisziplinäre Fachgesellschaft, die sich der Anwendung und Entwicklung von Case Management widmet. Darüber hinaus stellt die DGCC die  fachpolitischen Interessen seiner Mitglieder dar und vertritt diese nach außen.

Die DGCC stellt somit eine Plattform und Vertretung für CM-Anwendungspraxis, Aus- und Weiterbildung sowie Forschung im CM dar. In den Anfangsjahren standen Fragen der Qualifizierung und der Aufbau eines Zertifizierungssystems im Vordergrund. Parallel dazu erfolgte der Aufbau von Fachgruppen, die die unterschiedlichen Anwendungsgebiete des Case Managements repräsentieren. Als fachliche Foren konnten die Drei-Länderkooperation (D-A-CH) und die gemeinsame Fachzeitschrift „Case Management“ etabliert werden.

Die große Anwendungsbreite von Case Management hat in der stetigen Entwicklung für eine Vielfalt in den Ausprägungen gesorgt. Es stellt sich immer wieder die Frage, ob diese Varianzen in der Anwendung zu einer innovativen Vielfalt oder eher zu einer konturlosen Verwässerung führen. Die Diskussionen reichen von einem Festhalten an einem generellen Ansatz zum Case Management bis hin zur Sichtweise, dass die bereichsspezifischen Anwendungen sich so sehr spezialisiert haben, dass ein „gemeinsames“, also übergreifendes Case Management-Verständnis obsolet geworden ist. Eine weitere Herausforderung besteht im organisatorischen Kontext: Ist ein Fallbezug im Case Management zwingend notwendig oder reicht eine prozesssteuernde Funktion aus? Und schließlich zeigen die Debatten zur Indikation, dass die damit verbundenen Selektionskriterien durchaus für Diskussionsstoff sorgen. Kurz gesagt: die Stakeholder formulieren unterschiedliche Ansprüche.

Die Teilsysteme im Case Management – die Anwendungspraxis, die Aus- und Weiterbildung, die Theorieentwicklung und die Rahmenbedingungen differenzieren sich weiter aus. Die Fachgesellschaft ist gefordert, diesen Prozess offensiv zu gestalten.

Einführung

Die Entwicklung von Case Manage ment in Deutschland in den letzten zehn Jahren ist eine Erfolgsgeschichte, ohne Zweifel. Diese Behauptung wage ich aufzustellen, zumindest unter der Prämisse, dass dieser Blick aus Sicht der Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management, geschieht. Er ist damit zugleich aber auch ein eingeschränkter: für mich als Vorstandsmitglied steht die Innenperspektive stark im Fokus – der Blick auf die Gesamtsituation, mit den damit verbundenen (sozial- und gesundheits- politischen Implikationen erfolgt daher eher holzschnittartig. Grundlagen meines Beitrages stellen die Auswertungen von DGCC Unterlagen, Beiträge in der Fachzeitschrift Case Management (und sporadisch anderer Fachzeitschriften) und die Sichtung der vorwiegend deutschsprachigen Literatur zum Case Management dar. Letztere konnte allerdings auch nur kursorisch vorgenommen werden. Außerdem fließen Praxis- und Weiterbildungserfahrungen ein.

Die Entwicklung von Case Management in Deutschland – und speziell der DGCC – kann in drei Phasen eingeteilt werden. Inhaltlich wird jede Phase durch die Themen: Theorie, Praxis, Ausbildung, Forschung und DGCC-intern strukturiert, zeitlich erstrecken sich die ersten beiden Phasen über je vier Jahre, die dritte über zwei Jahre – sie mündet in Herausforderungen, die sich aktuell und künftig für die Fachgesellschaft stellen.

Vor Gründung der DGCC im Jahre 2005 kann noch eine Vorphase (2001 – 2004) beschrieben werden. Ende der 80iger Jahre bzw. Anfang der 90iger des vorigen Jahrhunderts veröffentlichte Wolf Rainer Wendt die ersten Beiträge und Bücher zum Case Management im deutschsprachigen Raum. Ab 2001 begann die eigentliche Vorphase der heutigen DGCC, in der die eher losen Kontakte der bis dahin am Case Management interessierten Akteure systematischer geknüpft, Fachtagungen (z.B. in Freiburg und Mainz) durchgeführt und erste Strukturierungsvorschläge zur Vernetzung erstellt wurden, die in den Vorbereitungen zur Vereinsgründung mündeten. Kurz vor Gründung der Fachgesellschaft passierte etwas Kurioses, im Nachhinein ein Glücksfall: In dieser Phase schnappte, etwas salopp formuliert, jemand den schon auserkorenen Vereinstitel Deutsche Gesellschaft für Case Management weg. Zwei Monate vor der Gründungsversammlung wurde bekannt, dass eine kleine Akteursgruppe in Bayern bereits einen Verein unter diesem Namen gegründet hatte. Dies führte dazu, dass der anvisierte Vereinsname angepasst werden musste und die Fachgesellschaft als DGCC – also als Fachgesellschaft nicht nur für Case, sondern für Care und Case Management benannt und ins Vereinsregister eintragen wurde (wir können natürlich heute so tun, als sei das Absicht gewesen…). Dem Anliegen und dem Thema ist die Bezeichnung allemal gerechter!

1. Phase 2005 – 2008: Konstituierung und Konturierung

Theorie

Selbstverständlich lagen zum Zeitpunkt der Gründung der DGCC schon zahlreiche Veröffentlichungen vor (darunter die heute zu Klassikern der Case Management Literatur zählenden Buchveröffentlichungen von Wendt, Ewers/Schaeffer, Neuffer, Kleve, Riet/Wouters, Löcherbach et al.). Die Theoriebeiträge im deutschsprachigen Raum befassten sich überwiegend mit dem grundlegenden Verständnis von Case Management und einer Konzentration auf das Verfahren. Die Ablaufphasen und der Regelkreislauf in der fallbezogenen Anwendung wurden ausführlich thematisiert und die neue Logik im Vorgehen hervorgehoben. Dabei fällt ein starker Import der Theorie aus dem angelsächsischen Raum auf, doch neben der Adaption finden sich zunehmend Beiträge, die die (Weiter-)Entwicklung für die deutschen Systeme im Sozial- und Gesundheitswesen vorantreiben. Die neue Fachzeitschrift (siehe unten, DGCC intern) wird als aktuelles Diskussionsforum genutzt. Auch wenn ein Schwerpunkt der theoretischen Auseinandersetzung auf Fallebene liegt (sicher notwendig, vgl. M. Wisserts Tools und Werkzeuge1), wird zunehmend auf die Bedeutung der Systemebene – als Organisationsund Netzwerkebene – hingewiesen. Eine differenzierte systematische Klärung von Case und Care deutet sich an, z.B. durch die Fragestellung, wie das Verhältnis zwischen Case Management und Sozialplanung zu verstehen ist.

Praxis

Erste Beispiele guter Praxis aus verschiedenen Anwendungsbereichen werden veröffentlicht und Implementierungsfragen diskutiert. In einer Übersicht wird konstatiert, dass sich vier verschiedene Implementationen etabliert haben: Das Eye-Catcher Modell, das eher einem Etikettenschwindel gleich kommt, da lediglich die Bezeichnung Case Management/Case Manager für die vorhandenen Vorgehensweisen und Mitarbeiterinnen geändert werden, ohne dass es zu einer systematischen Auseinandersetzung mit dem neuen Ansatz kommt. Später wird gern auch von Türschild-Case Managern gesprochen, da (über Nacht) die Türschilder ausgetauscht wurden („Freitags noch hing an meiner Bürotür die Bezeichnung Sozialpädagoge und am Montag stand auf dem neuen Türschild Case Manager“).

Die zweite Implementierungsvariante wird Ergänzungsmodell genannt: Fachkräfte, die sich mit dem Case Management Ansatz beschäftigt haben, versuchen Teile davon in ihre Praxis zu integrieren, indem sie z.B. Assessment- oder Monitoring-Elemente in ihr fallbezogenes Vorgehen einsetzen und so ihr methodisches Handeln ergänzen. Die dritte Variante besteht in der Implementierung von Case Management auf der Fallebene, dem Fallmanagement. Hier wird die vorhandene Arbeitsweise umgestellt auf den Regelkreis des Case Manage ments – ein Modell, dass von einigen Organisationen übernommen wird.
Die „Verordnung“ von Case Management, so zeigt sich, bleibt allerdings ohne Anpassung der Organisation oftmals ohne die gewünschten Effekte. Es gibt, viertens, einige wenige Implementationen, die als vollständiges Modell gelten können: Case Management wird als System auf der Fall-, der Organisations- und der infrastrukturellen Ebene aufgebaut und
durchgeführt. Meistens handelt es sich hierbei um Modellprojekte, die auch gut dokumentiert sind und als „Leuchttürme“ für eine Case Management Anwendung gelten.

Ausbildung

In dieser ersten Phase erfolgt ein sukzessiver und konsequenter Aufbau eines Zertifizierungssystems. Auch wenn das Ziel der Weiterbildungsstandards – „Mit ihrer Verbreitung, Förderung und Weiterentwicklung sollen das Vertrauen in Case Management-Angebote bei Menschen, die Case Management in Anspruch nehmen, gestärkt werden und für Auftraggeber und Kostenträger verlässliche Qualitätskriterien benannt werden“ (Weiterbildungs-Richtlinien der DGCC) – klar inhaltlich gefasst war, wurde strategisch Wert darauf gelegt, von Beginn an mit
den zuständigen Berufsverbänden (DBSH und DBfK) sowie der bundesweit aufgestellten Bundesagentur für Arbeit zu kooperieren, damit die entwickelten Qualifikationsstandards breite Zustimmung und Verbreitung finden. Im ersten Weiterbildungscurriculum wird zwischen generellem Teil (Basismodul) und anwendungsspezifischem Teil (Aufbaumodul) unterschieden – eine Aufteilung, die später weitgehend aufgegeben wurde.

Neben den curricularen Anforderungen (Weiterbildung) wurden gleichzeitig Richtlinien zur Anerkennung von Ausbildungsinstitutionen und Ausbilderinnen formuliert. Zur Qualitätssicherung zählt in diesem Zusammenhang auch die Verpflichtung der Institute zur Evaluation und Teilnahme an der jährlich stattfindenden Qualitätstagung. Das Zertifizierungssystem ist organisatorisch in Form einer Anerkennungskommission in der Fachgesellschaft verankert. Diese eigenständige Zertifizierung dient als Muster für die Anerkennungspraxis von Case Management auch in der Schweiz und in Österreich.

Forschung

Beispiele zu Forschungen im Case Management in Deutschland sind vorhanden, es gibt jedoch noch keine Zusammenschau.

DGCC intern

In dieser Phase erfolgt der Aufbau der Geschäftsstelle in Mainz und die Bildung von Fachgruppen:
• Case Management im Handlungsfeld Soziale Arbeit
• Case Management im Handlungsfeld Gesundheit und Pflege
• Case Management im Handlungsfeld Arbeitsmarktintegration
• Case Management im Handlungsfeld Rehabilitation (ab 2014: und Inklusion)

Diese Fachgruppen werden um Arbeitsgruppen (Themengruppen) ergänzt:
• Arbeitsgruppe Fort- und Weiterbildung
• Arbeitsgruppe Grundlagen
• Arbeitsgruppe Forschung

Durch diesen Aufbau wird gewährleistet, dass zentrale Anwendungsbereiche und Themen in der Fachgesellschaft präsent sind und der Austausch gefördert wird. Die DGCC veröffentlicht Stellungnahmen u.a. zum Landespflegegesetz (Forderung der DGCC: Case Management soll nicht an eine bestimmte Profession gebunden werden) und zur Pflegereform. Hierzu wird eine umfangreiche Expertise erstellt. In dieser ersten Phase beginnt die DGCC auch mit der Durchführung von Fachtagungen und etabliert die jährlich stattfindende Jahrestagung als Fachkongress.

Im Jahre 2005 fällt die Entscheidung, die Zeitschrift „Case Management“ als Fachorgan zu etablieren – für Mitglieder ist der Bezug der Zeitschrift über die Zahlung des Mitgliedsbeitrags abgedeckt. Die Mitgliederzahlen steigen stetig (2005: 55, 2006: 117, 2007: 168, 2008: 276 Mitglieder).

2. Phase 2009 – 2012: Differenzierung

Theorie

Die kritische theoretische Reflexion der Praxisanwendungen führt in einzelnen Beiträgen zu einer generellen Kritik am Case Management als „neoliberalem“ Instrument der (Sozial-,  Gesundheits- und Arbeitsmarkt-) Politik. Häufig wird dabei der Unterschied von Ansatzkritik (was ist grundsätzlich am Case Management kritisch zu beleuchten, welche „negativen“ Implikationen fließen unreflektiert in die Theoriebildung ein) und Praxisanwendung (hier muss ich einfach Wendt zitieren: „Nicht überall, wo Case Management drauf steht, ist auch Case Management drin“) nicht beachtet. Da es nach wie vor die Definition oder Theorie nicht gibt – und wohl auch nicht geben kann –, bleibt viel Raum für (missverständliche) Interpretationen und Auseinandersetzungen. Der Ansatz wird, je nach Autorin, mal als Teil von Managed Care, mal als Teil von Care Management definiert. Die Arbeitsgruppe Grundlagen verfasst in den
Rahmenempfehlungen zum Handlungskonzept Case Management (2009) grundlegende fachliche Einführungen zu Voraussetzungen und zum Verständnis des Handlungskonzeptes und erstellt Leitprinzipien und Qualitätsstandarddefinitionen. Die Publikation hat Einiges zur Klärung beigetragen. Und die DGCC verfasst – im Bewusstsein der zunehmenden Bedeutung von Organisation im Verständnis von Case Management – eine eigenständige Definition zum Case Management. Dies trägt zur Etablierung des Verständnisses, Case Management nicht nur als
Methode, sondern als Handlungsansatz zu begreifen, bei. Das Ergebnis der Diskussionen mündet in einer weiteren wichtigen Differenzierung: Die Tätigkeit einer Case Managerin ist zu unterscheiden von einem Case Management, das als strukturbildendes System aufgebaut wird. Gerade der letzte Aspekt verweist darauf, dass viele unterschiedliche Fachkräfte im Case Management mitarbeiten. Case Management ist nicht einfach Sache eines Case Managers, sondern einer Organisation und eines Netzwerkes – es müssen dementsprechend Prozess- und Kooperationsstrukturen angepasst oder aufgebaut werden.

Praxis

Die Bedeutung der Organisation für die Durchführung von Case Management stellt die Frage der Implementierung in den Mittelpunkt: Wie kann und soll Case Management „in die
Organisation“ kommen? Ist eine „top down“ oder eine „bottom up“-Strategie erfolgreicher? Welche Rolle spielt dabei die generelle Modellierung von Prozessen? Neben den bisherigen
Implementierungsmodellen entwickelt sich ein neues Vorgehen, das als Prozesssteuerungsmodell (und als Pendant zum Fallmanagement) beschrieben werden kann: Die Abläufe (Prozesse und Entscheidungen) werden mithilfe von Case Management-Wissen generell neu gestaltet, es entsteht quasi ein Case Management ohne Klienten/Patienten, da unabhängig vom Einzelfall
die Prozesssteuerung im Fokus steht. Es kommt zu interessanten, aber auch fragwürdigen Ausprägungen, die z.T. unreflektiert dem Case Management zugeschrieben werden: Bettenmanagement, Aufnahmemanagement, Kodiermanagement, OP-Management werden z.T. als Case Management Ansatz begriffen. Andererseits wird deutlich, dass die Bedeutung von (generellen) Prozessen zentral für die Fragen von Case Management in Organisationen ist. Neue Arbeitsfelder, z.B. Case Management im Bereich der Versicherungen, rücken ins Blickfeld – zumindest in Deutschland; das Thema Case Management und Versicherungen ist seit Jahren bereits in der Schweiz etabliert.

Ausbildung

Die Nachfrage nach zertifizierten Weiterbildungen führt dazu, dass sich im Rahmen des Zertifizierungssystems über 100 Ausbilderinnen und mehr als 60 Institute als Ausbildungsinstitute nach den Richtlinien anerkennen lassen. Es wird aber auch deutlich, dass eine zunehmende Spezialisierung der Weiterbildung erfolgt. Die ursprüngliche Trennung von Basis- und  Aufbaumodul wird aufgehoben, und es gibt eine starke Orientierung an Anwendungsfeldern. Aufgrund des vielfältigen Einsatzes von Case Management und der damit verbundenen, notwendigen Qualifizierung von Mitarbeiterinnen werden verschiedene Abschlussvarianten (Case Management-Assistenz, Case Management-Master, Case Management-Leitung) geprüft: es bleibt aber am Ende bei der Entscheidung, nur eine Zertifikatsweiterbildung durch die DGCC anzubieten. Die Betonung der eigenen Fachlichkeit im Case Management soll dadurch gestärkt werden.

Forschung

Die Arbeitsgruppe Forschung der DGCC erstellt eine Übersicht zum Forschungsstand in Deutschland, die veröffentlicht wird (Schu/Schmid 2009). Demnach könne für Deutschland zwar noch kein abschließender Befund erstellt werden, aber die Tendenz, Case Management wirke, sei durchaus vorhanden.

DGCC intern

Die Kooperation mit den Schwestergesellschaften in Österreich und der Schweiz wird verstärkt und führt zu einem regelmäßigen Austausch in Form eines „Drei-Ländertreffens“ (D-A-CH). Des Weiteren fällt die Entscheidung in Absprache mit dem Verlag, die Zeitschrift Case Management von jährlich zwei auf vier Ausgaben zu erhöhen. Das Thema Case Management im Anwendungsfeld Versicherung wird immer wichtiger und führt zur Gründung einer entsprechenden Fachgruppe. Der Vorstand entscheidet, einen Innovationspreis auszuloben für Beispiele guter Praxis in der Anwendung des Handlungskonzeptes Case Management, die in Diensten und Einrichtungen die Versorgung verbessern. Mit dem Preis werden „Best-Practice“-Modelle und kreative Lösungen ausgezeichnet, die Case Management in den spezifischen Zusammenhängen eines institutionellen, örtlichen oder regionalen Versorgungssystems implementieren

Da die empirische Datenlage zum Case Management in Deutschland sehr dürftig ist, führt die DGCC eine Befragung der Mitglieder zur Tätigkeit im Case Management durch.2
Die DGCC veröffentlich Stellungnahmen zum Beschäftigungsorientierten Case Management und zur Freiberuflichen Tätigkeit von Case Manager/innen.

Die Mitgliederentwicklung: 2009:381, 2010: 490, 2011: 575, 2012:629 Mitglieder.

3. Phase 2013 – 2015: Konsolidierung

Theorie

Die zunehmende Ausdifferenzierung von Case Management in den unterschiedlichen Anwendungsfeldern und deren theoretische Verankerung ermöglichen einerseits die Anschlussfähigkeit an andere Theorien (aus der Sozialen Arbeit, der Pflege, Ökonomie), andererseits wird heftig über die Verortung von Case Management diskutiert. Die Diskussionslinien verlaufen entlang der Frage der Eigenständigkeit: Ist Case Management als Teil einer Disziplin (Sozialarbeitswissenschaft, Pflegewissenschaft, Medizin) zu verorten, oder ist Case Management als eigener, transdisziplinärer Ansatz zu sehen? Ich halte einen transdisziplinären Zugang für notwendig, da es für die Aufgabenstellung im Case Management keine einzelne zuständige Disziplin gibt: Case Management kann mit seinem sektoren- und professionsübergreifenden „Blick“ nicht einer Disziplin zugeordnet werden. Einigkeit besteht
in der Auffassung, dass ein systemtheoretischer Zugang als Basistheorie den eigentlichen Case Management Theorien zu Fall- und Systemsteuerung vorgelagert ist. In dieser Phase erfolgt auch die verstärke Auseinandersetzung zur Klärung des Verhältnisses und der Schnittmengen von Case Management und Governance. Außerdem wird die Frage der Case Management Indikation erneut thematisiert mit dem Ergebnis, dass die kooperative Leistungserbringung wohl als das zentrale und verbindende Merkmal gelten kann.

Praxis

Nach einem regelrechten „Boom“ von Case Management in der Praxis scheint eine erste Revision angebracht. Es zeigt sich, dass vielfältige Implementierungsprobleme auftauchen und dass das Ausbleiben von schnellen positiven Effekten zur Ernüchterung führt. Erschwerend kommt hinzu, dass fragmentarische Implementierungen – jeder Dienst führt sein Case Management ein, ohne dass ein Case Management System auf der (infra-)strukturellen Ebene aufgebaut wird – eine hohe Anschlussfähigkeit und Integration in bestehende Abläufe suggerieren, obwohl unter fachlichen Gesichtspunkten die zentrale Basis für ein vernetztes, interinstitutionelles Arbeiten fehlt. Es kommt zu einer Scheinintegration, in der sich die innovative Wirkkraft von Case Management nicht entfalten kann: Klientinnen und Patientinnen haben – mitunter gleichzeitig – mehrere (institutionell gebundene) Case Manager, die in  Sachen Fallführung in Konkurrenz stehen. Etwas salopp formuliert, lässt sich die Situation so beschreiben: Früher galt, Nicht überall wo Case Management drauf steht, ist Case Management drin, heute gilt: Es ist egal was draufsteht, es ist Case Management drin (zumindest so, wie es der Anwender versteht)

Ausbildung

Eine Tendenz zu maßgeschneiderten Fortbildungsprogrammen (Inhouse) ist festzustellen und führt zu einem Nachlassen der Nachfrage nach der generellen Qualifizierung (Zertifikatsweiterbildung der DGCC). Es droht eine bereichsspezifische Verfestigung von Case Management Qualifikationen, und es scheint etwas verloren gegangen zu sein, dass Case
Management neben der auf den Anwendungsbereich spezifisch auszurichtenden Qualifikation eben auch eine generelle, eigenständige Fachlichkeit benötigt. Da mittlerweile durchgängig eine Grundqualifizierung im Rahmen von Bachelor- und Masterstudienprogrammen in Studiengängen der Sozialen Arbeit und der Pflege erfolgt, wird die Notwendigkeit einer vertiefenden Qualifizierung oftmals verneint. Es ist aber ein Unterschied, ob ich Case Management-orientiert arbeite oder ob ich ein umfassendes Case Management anwende (analog des Unterschiedes von familientherapeutisch orientiertem Arbeiten zur Familientherapie). Offensichtlich kumulieren in diesem Punkt die vorgestellten Aspekte der Praxis und der  Ausbildungssituation, mit der Folge der nachlassenden Nachfrage nach einer zertifizierten Weiterbildung.

Forschung

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Forschungsprogramm zum Case Management bzw. mit Teilen von Case Management oder anderen Bezeichnungen (z.B. Reha-Management, Eingliederungsmanagement, Fallmanagement usw.). Es gibt auch hier einen losen, interessengeleiteten Austausch von einzelnen Forscherinnen, eine Zusammenschau oder eine systematische (Meta-)Analyse fehlt.

DGCC intern

Die interne Vernetzung der DGCC wird gestärkt, indem Vorstand und Fachgruppenkoordinatoren eine gemeinsame Tagung durchführen. Eine neue Fachgruppe Case Management im Handlungsfeld Strafvollzug befindet sich in Gründung.

Mit der Verabschiedung der Ethik-Richtlinien wird ein weiterer wesentlicher Schritt in der Standardentwicklung von Case Management vollzogen. Die ethischen Grundlagen sind normativ bindender und integrierter Bestandteil des Handlungskonzeptes Case Management in praktischer und theoretischer Hinsicht. Sie sind zusammen mit den Rahmenempfehlungen für alle nach der DGCC zertifizierten Case Manager und Case Managerinnen sowie Ausbilder und Ausbilderinnen im Case Management verpflichtend.

Und ganz aktuell veröffentlicht die Fachgesellschaft Leitlinien zum Handlungskonzept Case Management. Diese stellen größtenteils durch die DGCC als verbindlich erklärte fachliche Standards dar – sowohl für Einrichtungen, die das Konzept Case Management anwenden, wie auch für die in ihnen tätigen Case Manager und Case Managerinnen, als auch für gesetzliche Festlegungen und deren Umsetzung. Die Empfehlungen bleiben offen für handlungsfeldbezogene oder einrichtungsbezogene Spezifika. Die Leitlinien enthalten nun die Rahmenempfehlungen, die ethischen Grundlagen und die Weiterbildungsrichtlinien und erstmals auch Aussagen zu Case Management als organisations-gestaltendem Handlungskonzept: Normierung und Auditierung beinhalten Standards, welche Kriterien ein Case Management-System erfüllen sollte und wie es sich prüfen lässt. Die nun vorgelegten Leitlinien zum Case Management stellen das Ergebnis eines langjährigen diskursiven Prozesses von Fachleuten innerhalb der DGCC dar, die unterschiedlichen Professionen angehören und die in unterschiedlichen Handlungsfeldern
tätig sind, unter Einbeziehung der internationalen Fachliteratur zum Case Management. Federführend waren Arbeitsgruppen der DGCC.

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen lässt auf den ersten Blick vermuten, dass die Gesellschaft nicht mehr wächst (2013: 690, 2014: 690, 2015 = 696 Mitglieder). Eine Interpretation ist nur möglich durch den Hinweis auf die systematische Pflege und Bereinigung des Datenbestandes seit 2014. Die Neuaufnahmen betragen 2014 = 69 und 2015 (bis Mai) = 38 Mitgliedschaften. Die Gesellschaft wächst also weiter.

Zwischenfazit

Zur Theorie

Es bleibt festzuhalten, dass die Theoriebeiträge sich zunehmend mit bereichs- oder anwendungsspezifischen Aspekten des Case Managements beschäftigten. Diese sicher sinnvolle und notwendige Differenzierung sollte aber nicht dazu führen, dass die Fundierung genereller Aspekte des Case Management Ansatzes vernachlässigt wird. Die eiene Fachlichkeit und die dazugehörige Theoriebasis bedarf auch (und immer wieder) der Präzisierung und sollte offen bleiben für neue Entwicklungen. So stehen meines Erachtens wichtige Differenzierungen zu allgemeinen Steuerungsansätzen, Managementansätzen, Beratungsansätzen und Forschungsansätzen aus.

Praxis

Die Anwendungsbreite von Case Management vollzieht sich natürlich in der konkreten Praxis. Diese ist immer bereichsspezifisch geprägt. Es kann schon von daher kein über alle Praxisfelder gleichermaßen „richtiges“ Case Management geben. Mit den Leitlinien der DGCC werden aber generelle Standards vorgegeben, die eine handlungsleitende Rahmung vorsehen. Das sichert einerseits die Vielfalt, schützt aber andererseits vor Beliebigkeit. Die Anwendung von Case Management ist voraussetzungsvoll und sollte nicht unterschätzt werden. Veröffentlichte Praxisreflexionen (z.B. in Form von Veröffentlichung in der Case Management Zeitschrift, in Form von Fachtagungen usw.) sind von daher zwingend erforderlich, um die Diskussion um ein fachlich fundiertes Case Management „am Leben“ zu erhalten. Neuen Austauschformen (wie z.B. Case Management im Dialog) und aktiver Fachgruppenarbeit der DGCC kommen hierbei wichtige Funktionen zu.

Ausbildung

Die Zertifikatsweiterbildung hat sich als Aus- bzw. Weiterbildungsstandard durchaus bewährt und im Laufe der Jahre auch diverse kleinere Anpassungen erfahren. Eine noch stärkere
Modularisierung könnte ein Weg sein, um die Belange von generellen und spezifischen Anforderungen besser zu verzahnen. Außerdem scheint es sinnvoll, das Profil von Case Management i.S. eines Kompetenzprofils besser zu schärfen. Der Unterschied von Case Management-orientiertem Vorgehen und einem umfänglichen Case Management ist dabei herauszustellen. Für letzteres bleibt die Zertifizierung Voraussetzung.

Forschung

Die Analyse zeigt, dass eine systematischere Beschäftigung mit laufenden und abgeschlossenen Forschungsvorhaben und -ansätzen dringend geboten ist. Die DGCC ist gefordert, dies auf der Agenda künftiger Aufgaben entsprechend weit oben anzusiedeln.

DGCC intern

Das Motto der Jahrestagung lautet: The Next Generation Case Management. Die Reflexion zeigt, dass nach Konstituierung und Konturierung (1. Phase), nach Differenzierung (2. Phase) und Konsolidierung (3. Phase) die nächsten Aufgaben anstehen. Man könnte diese Phase möglicherweise mit Profilierung bezeichnen: Die eigene Fachlichkeit von Case Management in Theorie, Praxis und Weiterbildung zu schärfen, ist dringend geboten und – das wäre ein weiteres zentrales Feld – die (gesellschafts-)politischen Implikationen von Care und Case Management sind offensiver zu bearbeiten. Das sehe ich als Aufgaben der Next Generation Case Management.

 

Anm. 1: Michael Wissert hat in den Anfangsjahren eine eigene Rubrik in der Fachzeitschrift kreiert (Tools und Werkzeuge zum Case Management), in der er anschaulich jeweils einen Teilaspekt  von Case Management im Kontext von methodisch praktischen Aspekten beschreibt. Er hat diese später mit Michael Monzer im Wechsel weitergeführt. (nach oben)

Anm. 2: Zu den Ergebnissen siehe Schu/Löcherbach (2013) In: Ehlers/Broer (Hrsg.), Case Management in der Sozialen Arbeit. Wiesbaden: Budrich. (nach oben)