
In ihrer Stellungnahme empfiehlt die DGCC, das Fallmanagement im Rahmen der anstehenden Gesetzesnovellierungen nicht nur für junge Menschen im SGB III und für Versicherte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und besonderem Unterstützungsbedarf im SGB VI, sondern auch für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB II rechtlich zu verankern. Auf diese Weise könnte erstmals ein rechtskreisübergreifendes Fallmanagement für die berufliche Eingliederung von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf etabliert werden.
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management e.V. zum Referentenentwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management e.V. (DGCC) möchte aufbauend auf Beratungen der ihr zugehörigen Fachgruppe Arbeitsmarktintegration die Gelegenheit nutzen, zum vorliegenden Referentenentwurf (Bearbeitungsstand 10.11.2025) im Hinblick auf das Fallmanagement Stellung zu beziehen.
Gliederung
- Vorstellung der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management e.V. (DGCC)
- Kernaussage der Stellungnahme und fachliche Einordnung
- Begründete Empfehlung zur gesetzlichen Verankerung eines Fallmanagements im SGB II
1. Vorstellung der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management e.V. (DGCC)
Die DGCC fördert die Entwicklung und Anwendung von Care und Case Management zur Verbesserung der Versorgung von Personen mit (komplexem) Unterstützungsbedarf. Dazu hat die Fachgesellschaft handlungsfeldübergreifende, fachliche und ethische Leitlinien von Case Management sowie Zertifizierungsgrundlagen für Weiterbildungsinstitute, für Case Management-Ausbilder/-innen und das Case Management anwendende Leistungsträger und Leistungserbringer formuliert.[1] Leitlinien zum Care Management (Netzwerkaufbau) und zur Forschung im Care und Case Management (inklusive Fallmanagement und Lotsenprojekte) werden erstmals in der Zeitschrift Case Management in Ausgabe 4/2025 zur Diskussion gestellt und sollen in 2026 erlassen werden.
2. Kernaussagen der Stellungnahme und fachliche Einordnung
Die DGCC begrüßt es ausdrücklich, dass im SGB II neben der Stärkung der Vermittlung und Mitwirkungspflichten an bewährten und kürzlich eingeführten Unterstützungsleistungen für Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarf festgehalten wird und dass diese in Teilen weiterentwickelt werden sollen. Zurecht wird hier auf den bedenklichen Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit hingewiesen, aber auch auf Förderlücken im SGB III, die sich bei der Betreuung von jungen Menschen mit komplexen persönlichen Lebenslagen zeigen.
Angesichts zunehmend komplexer Hilfesituationen, die auf ein fragmentiertes Hilfesystem treffen, begrüßt die DGCC die Aufnahme von Fallmanagement in §28b Abs. 2 SGB III-RefE als eine ergänzende Form „Umfassender Beratung”.
Um eine rechtskreisübergreifende Unterstützung und Begleitung von Personen in komplexen Hilfesituationen zu ermöglichen, regt die DGCC an, Fallmanagement nicht nur im SGB III und im SGB VI, sondern auch ausdrücklich im SGB II zu verankern, um gleiche Rechte für Personen mit besonderem Unterstützungsbedarf auf ein qualifiziertes Fallmanagement zu ermöglichen. Aktuell bestehen im SGB II nur untergesetzliche Regelungen und eine hohe Varianz bei der Umsetzung des Fallmanagements in den Jobcentern.
Es ist zielführend und notwendig, rechtskreisübergreifend Fallmanagement in Anlehnung an Care und Case Management (DGCC) in den aktuellen Gesetzesvorhaben vergleichbar zu definieren. Ansonsten entstehen unnötige fachliche Brüche zwischen den SGB-Büchern und den Leistungsträgern. Das betrifft aktuell das SGB II, III und VI.
Die Verpflichtung zu rechtskreisübergreifender sowie vor Ort vernetzter Zusammenarbeit sollte ausdrücklich im Gesetz im Zusammenhang mit Fallmanagement genannt werden, um Doppelstrukturen und unnötige Brüche zwischen den Sektoren zu vermeiden.
Den zuständigen Trägern (hier aktuell: SGB II, III und VI) sollte verpflichtend überantwortet werden, konkrete Fallmanagement-Konzepte zu formulieren und Fallmanagement zu implementieren. Der Gesetzgeber sollte zudem eine Evaluation der Konzepte und der Implementierung ausdrücklich vorsehen.
Insgesamt bestünde mit der gleichzeitigen rechtlichen Verankerung eines Fallmanagements im SGB II, SGB III und SGB VI die Chance, ein rechtskreisübergreifendes Angebot für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf bei der beruflichen Eingliederung und Teilhabe zu schaffen und auch die Zusammenarbeit zwischen den Rechtskreisen zu stärken.
3. Begründete Empfehlung zur gesetzlichen Verankerung eines Fallmanagements im SGB II
In den letzten Jahren wurde im SGB II u.a. die ganzheitliche Betreuung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten neu ausgeformt (§§ 16e, 16i und 16k SGB II). Aber auch die Reichweite der Beratung wurde in § 14 SGB II um aufsuchende und sozialraumorientierte Elemente erweitert, ein zusätzliches geplantes Element aus dem Referentenentwurf ist die stärkere Einbeziehung gesundheitlicher Aspekte. Im SGB III ist darüber hinaus geplant, eine umfassende Beratung für junge Menschen zu etablieren und in diesem Zusammenhang auch ein Fallmanagement einzuführen (§ 28b SGB III-RefE). Dabei wird explizit auf das Fallmanagement im SGB II Bezug genommen. Aus der rechtlichen Stärkung der ganzheitlichen Beratung und Betreuung in den beiden Rechtskreisen, die von der DGCC ausdrücklich begrüßt wird, ergibt sich für das Fallmanagement im SGB II allerdings eine gewisse Schieflage.
So stellt das Fallmanagement in der Mehrheit der Jobcenter zwar ein etabliertes und bewährtes Angebot für erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit multiplen Vermittlungshemmnissen dar. Ebenso etabliert ist das durch die DGCC-zertifizierte Qualifizierungsangebot zum/zur ausgebildeten Case Manager/-in der Bundesagentur für Arbeit. Im Unterschied zur ganzheitlichen Betreuung sowie der geplanten Einführung eines Fallmanagements für junge Menschen fehlt aber eine eigenständige gesetzliche Regelung zum Fallmanagement im SGB II. Trotz seiner prominenten Stellung im Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516 v. 5.9.2003) – das Fallmanagement wird hier u.a. als „Kernelement“ bezeichnet (ebd., S. 44) – ist das Fallmanagement letztlich nicht ausdrücklich in § 14 SGB II verankert worden. Alle das Fallmanagement betreffenden Regelungen sind insofern untergesetzlicher Natur, was zu einer hohen Varianz in der Umsetzung geführt hat, gerade auch im Vergleich zwischen gemeinsamen Einrichtungen und zugelassenen kommunalen Trägern.
Aus Sicht der DGCC wird damit der Bedeutung und Stellung des Fallmanagements in der Arbeit der Jobcenter nicht ausreichend Rechnung getragen, auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Anforderungen an rechtskreisübergreifende Kooperationen, um langzeitarbeitslosen Menschen bedarfsgerechte Maßnahmepakete anbieten zu können. Dies unterstreicht auch eine aktuelle bundesweite Befragung von Fachkräften im Fallmanagement, in der 88 Prozent der Befragten eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung befürwortet, 9 Prozent sind unentschieden, 2 Prozent eher dagegen (Rübner, 2025, Nachhaltigkeit und Fallmanagement im SGB II, in: Case Management 4/2025).
Vor diesem Hintergrund empfiehlt die DGCC, das Fallmanagement im Rahmen der anstehenden Gesetzesnovellierung nicht nur im SGB III für junge Menschen und im SGB VI für Versicherte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und besonderem Unterstützungsbedarf, sondern auch im SGB II rechtlich zu verankern. Das würde einem Grundgedanken des vorliegenden Referentenentwurfs entsprechen, neben einer Straffung des Vermittlungsgeschehens auch auf eine gezielte Förderung von Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen zu setzen und möglichst nachhaltige Integrationen zu erzielen.
Auf diese Weise würde erstmals ein rechtskreisübergreifendes Fallmanagement im SGB II, III und VI für die berufliche Eingliederung von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf etabliert.
Aus rechtssystematischer Sicht ist das Fallmanagement im Kapitel 3 Abschnitt 1 „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ einzuordnen. Die DGCC empfiehlt, das Fallmanagement entweder in § 14 SGB II, dem Grundsatz des Förderns, oder analog zum SGB VI-Änderungsgesetz in einer eigenständigen Rechtnorm, hier in einem neuen § 14a SGB II, zu verankern, um es als Leistung der Agentur für Arbeit (als zuständigem Träger nach diesem Buch) zu verankern.
Als Mindestkriterien für eine gesetzliche Verankerung des Fallmanagements im SGB II empfiehlt die DGCC folgende Punkte aufzunehmen:
- Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit einem besonderen Unterstützungsbedarf ist ein Fallmanagement vorzusehen, wenn dies für die Erreichung einer Eingliederung in Arbeit und die Überwindung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist.
- Das Fallmanagement umfasst die rechtskreisübergreifende Koordinierung und intensive Begleitung der Unterstützung unter Berücksichtigung aller Lebensumstände der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
- Grundlage ist ein Assessment, in dem der individuelle Bedarf der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erkannt, ermittelt und festgestellt wird.
- Das Fallmanagement wird mit Einwilligung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erbracht.
- Über ein Fallmanagement auf der Einzelfallebene hinaus sollte eine weiterentwickelte, personenzentrierte, sektoren-, organisations- und professionsübergreifende Zusammenarbeit (Care Management) vorgesehen werden.
- Fallmanagement ist Bestandteil der Konzeption der Jobcenter. Von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende sollte eine lokale Umsetzungsstrategie verbindlich beschlossen und regelmäßig fortgeschrieben werden.
Ausgehend von diesen Punkten wären – wie gehabt – alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten umfassend und nachhaltig mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit und der Überwindung der Hilfebedürftigkeit zu unterstützen (§ 14 Abs. 1 SGB II) und hierfür eine persönliche Ansprechperson zu benennen (§ 14 Abs. 3 SGB II). Darauf aufbauend würde bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit besonderem Unterstützungsbedarf ein Fallmanagement vorgehalten, wenn dies für die Erreichung einer Eingliederung in Arbeit und die Überwindung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Der besondere Unterstützungsbedarf könnte durch klarstellende Erläuterungen in der Gesetzesbegründung umschrieben werden, eine spezifischere Bestimmung wäre Aufgabe der Leistungsträger.
Es sollte eindeutig bestimmt werden, dass das Fallmanagement eine auf den Einzelfall bezogene Koordinierung verschiedener Dienstleistungen erbringt und zu deren Vernetzung im Rahmen einer engmaschigen Betreuung beiträgt, dies auch im Unterschied zur Unterstützung nach § 16k SGB II. Mit der Berücksichtigung aller relevanten Lebensumstände im Rahmen eines Assessments wird die ganzheitliche Ausrichtung unterstrichen, d. h. es werden arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen (Aufbau der Beschäftigungsfähigkeit, Eingliederung in Arbeit) mit einem umfassenderen sozialintegrativen Ansatz verknüpft.
Weiterhin wird vorgeschlagen, dass die Regelung nicht als bloße Kann-Leistung verankert, sondern die Jobcenter dazu verpflichtet werden sollten, ein Fallmanagement vorzuhalten. Diese Verpflichtung wird aus dem integrierten Arbeitsmarkt- und Fürsorgeauftrag der Grundsicherung sowie aus der durchgängig hohen Zahl von Leistungsberechtigten mit komplexem Unterstützungsbedarf abgeleitet.
Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass die Leistungen des Fallmanagements mit Einwilligung der Berechtigten erbracht werden. Ähnlich wird dies in der ganzheitlichen Betreuung nach § 16k Abs. 4 SGB II sowie im Fallmanagement nach § 30 Abs. 2 SGB XIV sowie im Gesetzentwurf nach § 13a Abs. 2 SGB VI geregelt.
Um sicherzustellen, dass jedes Jobcenter ein qualifiziertes Fallmanagement vorhält und Leistungsberechtigte mit besonderem Unterstützungsbedarf grundsätzlich Zugang zum Fallmanagement erhalten, empfiehlt die DGCC in der Gesetzesbegründung an den im Einvernehmen zwischen Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Spitzenverbänden verfassten „Handlungsleitfaden zum Fallmanagement in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ aus dem Jahr 2010 anzuknüpfen. In dem Handlungsleitfaden werden zwei weitere, für die Implementation des Fallmanagements wichtige Bezugspunkte aufgegriffen: Erstens werden die Jobcenter dazu angehalten, ein lokales Fachkonzept zum Fallmanagement verbindlich zu beschließen und weiterzuentwickeln; zweitens wird die einzelfallübergreifende Netzwerkarbeit als ein Kernelement des Fallmanagements ausgewiesen.
Für eine vollständige Implementation des Fallmanagements empfiehlt die DGCC eine Verpflichtung zu rechtskreisübergreifender sowie vor Ort vernetzter Zusammenarbeit ausdrücklich im SGB II zu verankern, um Doppelstrukturen und unnötige Brüche zu vermeiden (Care Management). Dies könnte beispielsweise in § 18 SGB II erfolgen, in dem die fallunabhängige örtliche Zusammenarbeit geregelt wird. Diese Vorschrift könnte durch ein mit den Erkenntnissen aus der Einzelfallarbeit rückgekoppeltes Care Management weiterentwickelt werden, z. B. durch den Aufbau von sektorenübergreifenden Dienstleistungsketten an neuralgischen institutionellen Übergängen, wie er in der geplanten Änderung des SGB III für die Jugendberufsagenturen geplant ist.
Schließlich empfiehlt die DGCC – zumindest in der Gesetzesbegründung – einen Passus aufzunehmen, der eine Evaluierung der Umsetzung und Wirkung des Fallmanagements im SGB II vorsieht, so wie das inzwischen für die meisten neu eingeführten Eingliederungsleistungen im SGB II Standard ist.
Insgesamt besteht mit der gleichzeitigen rechtlichen Verankerung eines Fallmanagements im SGB II, SGB III und SGB VI die Chance, ein rechtskreisübergreifendes Angebot für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf bei der beruflichen Eingliederung und Teilhabe zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Hugo Mennemann
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management e.V.
[1] Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (Hrsg.): Case Management Leitlinien. Rahmenempfehlungen, Standards und ethische Grundlagen. Medhochzwei: Heidelberg, 2., neu bearbeitete Auflage 2020.
