Deutsche Gesellschaft für Care und CaseManagement
 
Die Beteiligung von Angehörigen in der Bedarfsermittlung im Handlungsfeld Gesundheit und Pflege

Die Beteiligung von Angehörigen in der Bedarfsermittlung im Handlungsfeld Gesundheit und Pflege

Panel 1: Case Management und Bedarfsermittlung im Handlungsfeld Gesundheit und Pflege

Nahezu 75% der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden im häuslichen Umfeld betreut und gepflegt (vdek-Basisdaten des Gesundheitswesens 2017/2018: 47). Die Hauptbezugspersonen wie Angehörige, Nachbarn und Freunde tragen dabei den überwiegenden zeitlichen Anteil an der Versorgung der Pflegebedürftigen, tags und nachts. Einbezogen in die Ermittlung der eigenen Vorstellungen und Wünsche werden die Hauptbezugspersonen, wenn überhaupt, nur sehr selten. Zur Ermittlung der Bedarfe der Patienten/Klienten dienen unterschiedliche Assessments. Es werden beispielhaft die für diesen Fachkongress relevanten Verfahren näher betrachtet.

Die Case Management (CM)-Qualitätsstandards in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) geben Auswahl- und Ausführungsempfehlungen an, nach denen die zentralen Inhaltsbereiche von CM definiert werden (DGCC 2015:6f.). Im CM-Qualitätsstandard 2 wird die Phase des Assessments mit einer „… Beschreibung […] der Versorgungs- und Lebenssituation (Ressourcen und Probleme) sowie der Bedarfslage des Adressaten-/Klientensystems“ (DGCC 2015:18) beschrieben. Hingewiesen wird dabei auf die Erhebung eines subjektiven und objektiven Bedarfs unter Einbeziehung des sozialen […] Umfeldes mit dem Ziel, relevante Informationen aus fachlich-professioneller wie aus Klienten Sicht zu erfassen (DGCC 2015:18). Weiterführende Wünsche und Bedürfnisse der Angehörigen werden damit jedoch nicht erfasst.

Die ICF (International Classification of Functioning, Disability an Health) gliedert sich auf in zwei Teile: Teil 1 beschreibt die Bereiche Funktionsfähigkeit und Behinderung mit den Items Körperfunktionen und -strukturen, Schädigungen, Aktivität und Partizipation. Teil 2 stellt im Bereich Kontextfaktoren die Items Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren in den Vordergrund (Rentsch und Bucher 2006:18ff). Im Bereich der Kontextfaktoren wird das Netzwerk des Betroffenen in die Alltagsbewältigung einbezogen (Rentsch und Bucher 2006:254ff). Hier steht der Gedanke im Vordergrund, „… Betroffene bei der Bewältigung der Anforderungen positiv zu unterstützen“ (Rentsch und Bucher 2006:255).

Weder im Rahmen der Bedarfserhebung nach den Leitlinien der DGCC noch bei Betrachtung der Kontextfaktoren im Sinne der ICF werden die Angehörigen angemessen einbezogen, wenn es um ihre pflegerischen Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse geht. Das bezieht sich jedoch nicht nur auf die beiden dargestellten Bereiche, sondern lässt sich auf viele andere Bereiche im Gesundheitssystem übertragen. Die Angehörigen, unabhängig davon, ob sie aktiv oder passiv unterstützen, müssen intensiver einbezogen werden. Insbesondere geht es dabei um die Berücksichtigung ihrer tiefsten und innigsten Wünsche und Bedürfnisse, die ansonsten unerfüllt bleiben, und dadurch zu Krisensituationen beitragen können.

Literatur

Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (2015) Case Management Leitlinien. Rahmenempfehlungen, Standards und ethische Grundlagen. Heidelberg: medhochzwei Verlag.

Rentsch HP und Bucher PO (2006) ICF in der Rehabilitation. Die praktische Anwendung der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit im Rehabilitationsalltag. 2. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.

Verband der Ersatzkassen e.V. (2017 / 2018) Basisdaten des Gesundheitswesens. 22. Auflage neusta communications GmbH: Bremen.

 

Jürgen Drebes, M.A.

Jürgen Drebes ist Doktorand der Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke. Schwerpunkt seiner aktuellen Forschung sind Angehörige von Menschen im Wachkoma. Er hat einen B.A. in Public Health Care und Case Management sowie einen M.A. in General Management erworben. Seit vielen Jahren bildet Jürgen Drebes Case Manger*innen aus, als Berufspädagoge und Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege arbeitet er an der Hochschule für Gesundheit in Bochum als Lehrkraft mit besonderen Aufgaben.

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