
Foto: PROGES / Violetta Wakolbinger
Der folgende Beitrag ist auch als PDF zum Download verfügbar.
Am 16. Mai 2005 wurde die Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) in Mainz gegründet. Zeitpunkt und Ort waren gut gewählt angesichts vorbereitender Treffen und zentraler Akteure. Nur der Name war Ausweg aus einer Verlegenheit, weil zwei Monate vor Gründung des Fachverbandes eine kleine Gruppe in Bayern den zuvor auserkorenen Namen: Deutsche Gesellschaft für Case Management für ihren Verein gewählt hatte. Im Nachhinein war die dann kurzfristig vereinbarte Namensgebung, die, wenn ich mich richtig erinnere, auf einen Vorschlag von Wolf Rainer Wendt zurückgeht, ein „Glücksfall“, wie Peter Löcherbach treffend schreibt. Denn erst durch das Zusammendenken von Care, Care Management und Case Management werden alle notwendigen Inhalte einer bedarfsorientierten Steuerung von Professionen und Diensten im Einzelfall angemessen in den Blick genommen.
Die Gründung vor 20 Jahren wurde auf der diesjährigen Jahrestagung in Erkner gefeiert. Sie ist Anlass, zunächst zurückzublicken auf die Entscheidungen in der Zeit vor der Gründung der DGCC, die bis heute Grundlagen des Vereins sind (1.), sowie auf die Aktivitäten und fachlichen Entwicklungen des Fachverbandes in 20 Jahren (2.). Dabei liegt der Akzent auf der Darlegung der (datierbaren) Aktivitäten und zentralen fachlichen Entwicklungen, die im Anschluss jeweils kommentiert werden. Dieser interne Einblick in die Entwicklung eines Fachverbandes mit konkreten Daten, Zahlen und Namen mag an einigen Stellen für eine Veröffentlichung erstaunlich detailliert und offen wirken. Die Veröffentlichung bietet Gelegenheit, vielen (ehemaligen) Aktiven mit diesem Artikel indirekt noch einmal zu danken für ihr Engagement. Zudem leiten die in die Zeit eingeordneten Inhalte über in eine pointierte Darstellung des Erreichten und in einen Ausblick (3.). Ein Blick von außen auf die Geschichte der DGCC, den Stand des Erreichten sowie eine Bewertung der Bedeutung der DGCC sehen sicher anders aus.
Zum einen sei allen gedankt, die bereitwillig Informationen und Materialien zur Verfügung gestellt haben (namentlich: Corinna Ehlers, Birgit Grosch, Peter Löcherbach, Thomas Klie, Michael Monzer, Ruth Remmel-Faßbender, Jürgen Ribbert-Elias, Martina Schu, Matthias Teut und Wolf Rainer Wendt). Zum anderen können an vielen Stellen nur einige Aktivitäten und Personen beispielhaft genannt werden und die inhaltlichen Daten können nicht vollständig sein. Dafür bitte ich um Verständnis.
1. Blick zurück in die Zeit vor Gründung der DGCC
Wolf Rainer Wendt hat Case Management im deutschsprachigen Raum eingeführt. Seine Veröffentlichungen Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre sind die ersten in deutscher Sprache. Das Verfahren gibt es unter diesem Namen seit den 1970er Jahren angesichts „eines sich differenzierenden Hilfesystems, der Rechtsansprüche insbesondere von Menschen mit Behinderungen und der Deinstitutionalisierungskampagne erst in den USA und dann auch in anderen Ländern“ (Wendt 2015, S. 116). Ging es, so Wendt weiter, für die „first Generation Case Management“ (seit den 1970er Jahren) innerhalb einer personzentriert gedachten Sozialen Arbeit um die Bewältigung komplexer Problemlagen, in der sowohl das Versorgungssystem als auch das Leben der Zielpersonen in den Blick genommen werden, so wird Case Management in der „second Generation“ (seit den 1990er Jahren) als eingebettet in die Strukturen des Sozial- und Gesundheitssystems begriffen. Damit rücken Probleme des Versorgungssystems und seiner Gestaltung in den Vordergrund. Für die „third Generation“ (zeitlich in einem fließenden Übergang ebenfalls seit den 1990er Jahren) wird Case Management zu einem Programm in den Feldern des Sozial- und Gesundheitswesens. Case Management wird im Rahmen von Care Management bzw. „eines Versorgungsmanagements in Funktion gesetzt“ (Wendt 2015, S. 118).
| 1988–1999 | Erste deutschsprachige Veröffentlichungen • Wendt 1988: Zeitschriftenartikel über soziale Einzelfallhilfe • Wendt 1991: Unterstützung fallweise. Case Management in der Sozialarbeit. |
| 1992–2003 | Frühe Handlungsfelder/Projekte • BMAS (1992): Modellprogramm zur Unterstützung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen (als Grundlage für die Einführung der Pflegeversicherung 1995) mit einigen Modellprojekten, die Care und Case Management implementierten, u.a. dem „Ahlener Modell“ • frühe bis mittlere 1990er Jahre: das „Berliner Modell der Koordinierungsstellen“ im Bereich Pflegeberatung beruht auf Case Management (Aktivitäten und Aufsätze insbesondere von Michael Wissert und Peter Wissmann um 1994) • weitere Modellprogramme im Auftrag des BMG, BMAS und des BMFSFJ sowie von Ministerien auf Landesebene ab den 1990er Jahren in unterschiedlichen Handlungsfeldern ermöglichen die Anwendung von Care und Case Management (beispielsweise HomeCare Nürnberg unter der Leitung von Mona Frommelt und Marius Greuèl (1999) und Aktivitäten von Claus Reis im Bereich integrierte Hilfe zur Arbeit im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit NRW (2003)) |
| 26.01.2001 | Gründung des Arbeitskreises Case Management der Deutschen Gesellschaft für Sozialarbeit – DGS (heute: Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit – DGSA), der seit 2005 zugleich Fachgruppe der DGCC ist; Leitung: Peter Löcherbach; seit 2008 Manfred Neuffer; seit 2011 Corinna Ehlers und Reinald Faß sowie seit 2015 Corinna Ehlers und Matthias Müller |
| 2001 (bis 2021) | Freiburger Fachtagungen zum Case Management; Leitung: Thomas Klie, zunächst zusammen mit Michael Wissert und später mit Michael Monzer |
| 22.10.2002 | Gründung der Anerkennungskommission durch die Fachverbände DGSA, DBSH und DBfK an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg; Vorsitz: Ruth Remmel-Faßbender (DBSH), weitere Gründungsmitglieder: Manfred Neuffer (DGSA), Wolf Rainer Wendt (DGSA), Sybille Kraus (DBSH), Sabine Schrödel (DBfK), Franz Wagner (DBfK); seit 26.09.2022 übernimmt Birgit Grosch die Leitung der unabhängigen Anerkennungskommission |
| 29.01.2003 | Standards und Richtlinien für die CM-Weiterbildung (Peter Löcherbach, Michael Wissert, Ruth Remmel-Fassbender, Hugo Mennemann, Waltraud Baur, Andreas Podeswik, Michael Monzer, Peter Wissmann, Wolf Rainer Wendt) |
| Blitzlicht 2004 | Es gibt bereits 38 zertifizierte CM-Ausbilder:innen und 14 anerkannte Bildungsinstitute, die Case Management-Weiterbildungen anbieten (können). |
| Seit 2005 | Seit 2005 erscheint die Zeitschrift Case Management im medhochzwei Verlag in Heidelberg; Annette Xandry begleitet nicht nur die DGCC seitens des Verlages von Anfang an, sie engagiert sich fachlich für die DGCC und bringt vielfältige, bereichernde Ideen ein mit ihrem Team (Sabine Hornig ist für den Satz zuständig und Walther Gehlen redigiert alle Artikel); bis heute sind 75 Hefte mit über 620 Fachartikeln erschienen; die Zeitschrift erschien zunächst 2x pro Jahr und seit 2009 4x pro Jahr; das Design des Covers wurde mit den Heften 1/2010 und 1/2020 geändert. |
| 16.06.200 | Gründung der DGCC in Mainz (s. Abb. 2); Wolf Rainer Wendt wird zum ersten Vorsitzenden gewählt und Peter Löcherbach zum stellvertretenden Vorsitzenden; die fünf gewählten Beisitzenden sind: Hugo Mennemann, Andreas Podeswik, Claus Reis, Ruth Remmel-Faßbender und Martina Schu |
Für die fachliche Entwicklung in Deutschland ist bemerkenswert und für die DGCC strukturgebend, dass eine zertifizierte Weiterbildung von Case Manager:innen eines der vorrangigen Anliegen im Vorfeld der Gründung der DGCC ist. 40 Fachleute gründen am 26.01.2001 an der Katholischen Fachhochschule in Mainz im Rahmen eines Symposiums den Arbeitskreis Case Management innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Sozialarbeit – DGS (heute: Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit – DGSA). Die bereits im Rahmen dieser Gruppe 2003 erlassenen „Standards und Richtlinien für eine Case Management-Weiterbildung“ sowie die Idee einer von unterschiedlichen Verbänden getragenen unabhängigen Anerkennungskommission werden von der DGCC ab 2005 übernommen. Bereits 2004 gab es 14 anerkannte Bildungsinstitute und 38 anerkannte Case Management-Ausbilder:innen. Die vor der Vereinsgründung umgesetzte Idee, dass Institute und Ausbilder:innen zertifiziert werden, die dann in ihrer Verantwortung eine Weiterbildung anbieten (können) und diese vermarkten, wurde von der DGCC übernommen und beibehalten. Die Zertifizierungsgrundlagen im Rahmen einer Weiterbildung waren zunächst der einzige fachliche Standard, mit dem der Verein zu Beginn arbeitete. en Nährboden für den Bedarf an einer zertifizierten Weiterbildung lieferten die zusehends komplexer werdenden Hilfesituationen von Personen mit Unterstützungsbedarf in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Die entstehende Notwendigkeit professions-, dienstleistungs- und sektorenübergreifender Steuerung im Einzelfall wurde von einigen Bundes- und Landesministerien in Aufträgen und Modellprogrammen, in denen unter anderem Case Management in unterschiedlichen Hand- lungsfeldern implementiert werden sollte, ermöglicht (s. z.B. das Modellprogramm des BMAS 1992; Artikel in der Zeitschrift Sozialmanagement 4, 1998; Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen (1999) und Case Management für ältere Hausarztpatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen (PAGT) (2002) herausgegeben vom BMFSFJ; Initiativ in NRW. Case Management. Theorie und Praxis, herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit NRW 2003; Überleitung und Case Management in der Pflege, heraus- gegeben vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung 2004). So lag es für die DGCC mit ihrer Gründung nahe, neben dem Modell einer zertifizierten Weiterbildung auch die Implementierung von Case Management in unterschiedlichen Handlungsfeldern im Sozial- und Gesundheitswesen sowie in der Beschäfti- gungsförderung über Fachgruppen zu begleiten und weiterzuentwickeln.

Thomas Klie führte als erster in Deutschland seit 2001 (bis 2021) jährlich eine Jahrestagung zum Case Management durch (zunächst mit Michael Wissert und später zusammen mit Michael Monzer). Zudem überzeugte er den medhochzwei Verlag, ab 2005 eine eigene Zeitschrift Case Management mit zunächst zwei Heften pro Jahr aufzulegen, was für den Verlag eine wirtschaftlich mutige Entscheidung war. Der medhochzwei Verlag wurde so zum „Hausverlag“ auch der DGCC mit der Herausgabe der Zeitschrift, einer Schriftenreihe und Lehrvideos. Thomas Klie ist bis heute Schriftleiter der Zeitschrift. Die DGCC – wie auch die ÖGCC und das Netzwerk Case Management in der Schweiz – profitieren von diesem Engagement und unterstützen die Zeitschrift im Beirat, mit Beiträgen und über garantierte Abnahmen an die Mitglieder. Die jährlich stattfindende Freiburger Jahrestagung zum Case Ma- nagement fand früh auch unter dem Label der DGCC statt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die DGCC mit ihrer Gründung die folgenden Inhalte, die sie fachlich und strukturell bestimmt haben, übernahm:
- eine unabhängige Anerkennungskommission, getragen von unterschiedlichen Fachverbänden,
- Zertifizierungsstandards für eine Case Management- Weiterbildung mit der dazugehörigen Struktur, die zertifizierten Bildungsinstituten die Möglichkeit und die Verantwortung übergibt, die Weiterbildung mit zertifizierten Ausbilder:innen durchzuführen,
- unterschiedliche Implementierungsmodelle in unterschiedlichen Handlungsfeldern,
- eine fachliche Diskussion, die sich auf Jahrestagungen und in einer Zeitschrift niederschlägt.
| 30.09.2005 | Erstes Zusammenkommen von Bildungsinstituten im Rahmen eines Qualitätszirkels, der bereits verpflichtend für alle anerkannten Bildungsinstitute war |
| 30./31.01.2006 | Erste Jahrestagung im Burckhardthaus in Gelnhausen, in dem Ruth Remmel-Faßbender als Supervisorin bereits tätig war und den Kontakt herstellte |
| 2006 | Aufnahme des Bereichs Beschäftigungsförderung; seit 2006 jährliche Treffen mit Vertreter:innen der Bundesagentur für Arbeit (seitens der DGCC nehmen teil: Peter Löcherbach, Ruth Remmel-Faßbender, Wolf Rainer Wendt; seit 2022: Birgit Grosch, Hugo Mennemann, Wolf Rainer Wendt) |
| 14.01.2008 | Verabschiedung der Rahmenempfehlungen der DGCC, die von der Fachgruppe „Essentials“ erarbeitet wurden, durch den Vorstand |
| 25.04.2008 | Erstes Treffen der Fachgruppe Weiterbildung in Kiel |
| 2008 | Durchführung der ersten Qualitätstagung der Institute in Mainz in Verantwortung des Vorstands (Leitungen: Ruth Remmel-Faßbender bis 2020; Corinna Ehlers bis 2022; Hugo Mennemann seit 2023) |
| 2008 | Erstes Treffen der DGCC mit der Österreichischen Gesellschaft für Care und Case Management (ÖGCC) und dem Netzwerk Case Management Schweiz in Graz (D-A-CH); die Treffen finden bis heute mindestens einmal im Jahr in Präsenz sowie seit 2022 bei Bedarf mehrmals online statt |
| 2011 | Erste Vergabe des Innovationspreises; dieser wurde insgesamt fünfmal vergeben (s. Tab. 4) |
| Seit Juni 2013 | DGCC im Dialog (Leitung: Matthias Teut); zu Beginn zweimal im Jahr in unterschiedlichen Städten; derzeit: einmal im Jahr online |
| 27.06.2014 | Ethische Grundlagen Case Management werden von der Mitgliederversammlung in Nürnberg verabschiedet |
| 2015 | 1. Auflage Case Management Leitlinien (2., neu bearbeitete Auflage 2020; 3. Auflage 2026 mit weiteren Leitlinien geplant); die erste und die zweite Auflage beinhalten: Rahmenempfehlungen, ethische Grundlagen, Standards zur Normierung und Auditierung auf Organisationsebene sowie Standards und Richtlinien für die Weiterbildung |
| 05.12.2016 | Qualifikationsrahmen zertifizierter Case Manager und Case Managerinnen (DGCC) – herausgegebenes Positionspapier der Fachgruppe Weiterbildung insbesondere zu einer differenzierten Auflistung der Fachkompetenz von Case Managern und Case Managerinnen (Christiane Bader, Roswitha Gembris, Rudolf Pape, Ruth Remmel-Faßbender, Herma Tewes) |
| 2018 | Gründung der Zertifizierungskommission (Leitung: Jürgen Ribbert-Elias, später im Leitungskreis zusammen mit Jürgen Drebes und Andreas Podeswik) |
| 2019 | Beginn der Arbeit der Zertifizierungskommission; Ausbildung von Auditor:innen durch Jürgen Ribbert-Elias |
| 24.06.2022 | Insbesondere auf der Jahrestagung in Münster werden neue Fachgruppen gegründet: Fachgruppe Flucht und Migration, offene Fachgruppe erweiterte Unterstützung, Betreuungsorganisationsgesetz sowie die Fachgruppe CCM in der Kinder- und Jugendhilfe; zudem wird die Fachgruppe Patientenlots:innen gegründet |
| 2022 | Gegenseitige Anerkennung der zertifizierten Ausbildungen der ÖGCC und der DGCC (in der Schweiz liegt die Weiterbildung, zu der es keine vorgegebenen Standards gibt, in der Verantwortung von Hochschulen) |
| 05.06.2024 | Verständigung der DGCC, des Netzwerkes CM Schweiz und der ÖGCC über Leitlinien zu Care, Care Management und Case Management (Veröffentlichung 2025) |
| Geplant für 2026 | • Leitlinien Care Management • Leitlinien Forschung im CCM • Verständigung der DGCC, Netzwerk CM Schweiz und der ÖGCC über CCM im politischen Diskurs |
Die zertifizierte Weiterbildung spricht vor allem interes- sierte Mitarbeitende unterschiedlicher Professionen an, die ein Interesse haben, komplexe Hilfesituationen auf der Einzelfallebene besser steuern zu können als zuvor. Zu Beginn der DGCC wurden vor allem über Bildungsinstitute Interessierte unterschiedlicher Professionen in unterschied- lichen Handlungsfeldern angesprochen und zusammengeführt. Es gab wenige Inhouseschulungen. Das änderte sich im Laufe der Zeit, als Case Management verstärkt auf das Interesse von Organisationen traf, die sich der Aufgabe einer bedarfsorientierten Steuerung innerhalb und über die Organisation hinaus gegenüberstehen sehen. Vor allem zertifizierte Case Manager:innen interessierten sich in der Folge für eine Mitarbeit in der neu gegründeten DGCC. Ein starkes Interesse und ein Schwerpunkt vieler Mitglieder liegt bis heute auf der Einzelfallebene des Case Managements. Ein fachlicher Konflikt war mit dem Beginn der DGCC angelegt. Zum einen beschreibt Wolf Rainer Wendt die Entstehung des Case Managements international und auch in Deutschland innerhalb der Sozialen Arbeit. Die Steuerungsfunktion in komplexen Hilfesituationen wurde jedoch schnell wie ebenfalls dargestellt in einigen Handlungsfeldern von anderen Professionen (insbesondere von der Pflege), die ebenfalls eine Zuständigkeit reklamierten, übernommen. In diesem Zusammenhang stellte sich fachlich die Frage, inwiefern Case Management in einen Beziehungsaufbau und in grundlegende Beratungskompetenzen der Sozialen Arbeit eingelassen sein sollte. Diesen fachlichen Konflikt einer professionsbezogenen Zuständigkeit und des inhaltlichen Verständnisses von Case Management hat die DGCC mit ihrer Gründung „geerbt“. Dieser hat die Anfangszeit mitgeprägt. Das Verhältnis von Case Management zu unterschiedlichen Professionen konnte auch im Gespräch mit unterschiedlichen Fachverbänden geklärt werden (Soziale Arbeit, Care und Case Management 2025).
2. Aktivitäten und fachliche Entwicklungen in 20 Jahren
Peter Löcherbach beschreibt die ersten 10 Jahre der DGCC als „vierte Generation“ in drei Phasen:
1. Phase (2005-2008) Konstituierung und Konturierung: Case Management wird auf der Fall-, der Organisations- und der infrastrukturellen Ebene aufgebaut und durchgeführt.
2. Phase (2009-2012) Differenzierung: Unterscheidung unterschiedlicher Implementierungsmodelle und Verabschiedung von Rahmenempfehlungen.
3. Phase (2013-2015) Konsolidierung der Inhalte, die sich vor allem in der Veröffentlichung von Case Management-Leitlinien (DGCC 2015 und 2020) ausdrückt.
Die Phasen werden differenziert mit Blick auf die Bereiche Theorie, Praxis, Ausbildung, Forschung und DGCC intern beschrieben.
Für den Ausblick sieht Löcherbach eine Phase der Profilierung und mahnt: „Die eigene Fachlichkeit von Case Management in Theorie, Praxis und Weiterbildung zu schärfen, ist dringend geboten und – das wäre ein weiteres zentrales Feld – die (gesellschafts-)politischen Implikationen von Care und Case Management sind offensiver zu bearbeiten“ (2015, S. 126). 2016 gibt die Fachgruppe Weiterbildung das Positionspapier zum Qualifizierungsrahmen von Case Managerinnen und Case Managern heraus.
Die Profilierung oder Schärfung der Inhalte (Tiefe) geht dann ab 2018 einher mit einer fachlichen und strukturellen Erweiterung innerhalb der DGCC (Breite): Care Management auf der Organisationsebene rückt stärker ins Zentrum. 2018 wird die Zertifizierungskommission, die Organisationen ein Audit mit Zertifizierung anbietet, der Anerkennungskommission als zweite unabhängige Kom- mission zur Seite gestellt. 2023 werden Videos zu Grund- lagen von CCM insbesondere für Leitungskräfte produziert. Spätestens seit 2023 rückt ein Akzent der Arbeit innerhalb des Care Managements ergänzend auf die Ebene politischer Diskurse und der Gesetzgebungsverfahren. Seit 2017 wird das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Schritten im Rahmen des SGB IX umgesetzt. Ein Modellprogramm im Umfang von bis zu 1 Milliarde Euro wird für RehaPro-Projekte im Auftrag des BMAS in Stufen zur Verfügung gestellt. Vielfältige Projekte mit umfangreicher Begleitforschung entstehen, die unter anderem Care und Case Management implementieren. Parallel stellt das BMG umfangreiche Fördermittel zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems (SGB V, angrenzend SGB XI) für Projekte im Rahmen des Innovationsfonds zur Verfügung. Auch in diesen Projekten wird vielfach Care und Case Management umgesetzt, wissenschaftlich begleitet und evaluiert. CCM verbirgt sich hier häufig hinter dem Begriff „Lotsen“, während es im SGB II, III, VI, IX und XI in der Regel unter „Fallmanagement“ firmiert. Es entstehen vielfältige Modelle, Evaluationskriterien und -ergebnisse, die in einer Verbindung zum Care und Case Management stehen, die aber nur zum Teil zurückgreifen auf die fachlich im Rahmen der DGCC formulierten Standards. Insbesondere die Netzwerkebene wird selten umgesetzt. Zudem gibt es auf der bundespolitischen Ebene unterschiedliche Akteure und Interessengruppen. Die DGCC ist verstärkt aufgefordert, die formulierten fachlichen Standards und Erfahrungen in Beiräten von Modellprojekten, in politischen Ausschüssen und durch Positionspapiere in unterschiedlichen Handlungsfeldern bzw. SGB-Bereichen einzubringen.
| 30./31.01.2006, Gelnhausen | Burckhardthaus: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Erfolge und Stolpersteine bei der Implementierung von Case Management im Sozial- und Gesundheitswesen |
| 16./17.02.2007, Berlin und Mainz | Zwei kooperative Fachtagungen: in Berlin zusammen mit der Alice Salomon Hochschule Berlin: Case Management als Brücke. Arbeitsfelder und Organisationsformen sowie in Mainz zu dem Thema: Planung und Steuerung der kommunalen sozialen Versorgung – Care und Case Management und Sozialplanung in der Kommune |
| 26./27.06.2008, Dresden | Evangelische Hochschule (Sofi Institut): Erfolge und Stolpersteine bei der Implementierung von Case Management im Sozial- und Gesundheitswesen |
| 07./08.03.2009, Köln | Uniklinik: Care und Case Management im Reformprozess |
| 10./11.06.2010, Berlin | Urania in Verbindung mit dem JuraHealth Congress: Versorgung lenken und gestalten: Die Chancen des Case Managements |
| 01./02.07.2011, Mettmann | Bildungshaus der BA: Case Management bringt’s: Klarheit, Sicherheit, Erfolg |
| 29./30.06.2012, Schwerin | In Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit (HdBA): Rat in jedem Fall! – Beratungskompetenzen im Case Management |
| 28./29.06.2013, Münster | Stadtweinhaus: Vernetzt versorgen – Case Management in und mit Netzwerken |
| 27./28.06.2014, Nürnberg | Karl Bröger Zentrum: Steuern, Regieren und Entscheiden – Case Management und Organisationsentwicklung |
| 26./27.06.2015, Köln | Maternushaus: Next Generation Case Management – Perspektiven nach 10 Jahren DGCC |
| 24./25.06.2016, Dresden | Evangelische Hochschule: Praxis der Kommunikation im Case Management |
| 23./24.06.2017, Augsburg | Bildungshaus St. Ulrich: Case Management als Strategie – Erwartungen und Handlungsspielräume |
| 22./23.06.2018, Düsseldorf | Haus der Universität: Interdisziplinarität und Nutzerbeteiligung im CM |
| 21./22.06.2019, Koblenz | Hochschule: Bedarfsermittlung im Case Management, bio-psycho-soziales Assessment und die ICF |
| 2020 | Corona-bedingt ausgefallen |
| 22./23.10.2021, Freiburg | Glashaus: Case Management und Sozialraumorientierung |
| 24./25.06.2022, Münster | Stadtweinhaus: Case Management implementieren – Begegnung gestalten |
| 23./24.06.2023, Neubrandenburg | Hochschule: Case Management in ländlichen Räumen |
| 21./22.06.2024, Gütersloh | Bertelsmann Stiftung: Verantwortung im Case Management – Impulse – Workshops – Interaktionen – Marktplatz |
| 27./28.06.2025, Erkner | Bildungszentrum: Nachhaltig im Case Management – wie zukunftsfähig ist das Care und Case Management? |
| Vorschau: 29./30.05.2026, Dresden | In Kooperation mit dem Carl Gustav Carus Management, Universitätsklinikum: Vielfältigkeit im Care und Case Management |
Dabei ist die DGCC auf die fachlich unterstützende Arbeit von Projektträgern angewiesen. Beispielhaft hervorgehoben seien hier die Arbeit im Projekt LexLotse OWL der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe unter der Leitung von Michael Brinkmeier, die Netzwerk- und Projektarbeit von Elmar Stegmeier sowie das KiT-Projekt im Rahmen der Deutschen Rentenversicherung unter der fachlichen Leitung von Peter Löcherbach, Christian Rexroth und Edwin Töpler sowie dem FOGS-Institut, die alle drei ausdrücklich die Standards der DGCC umsetzen und in den politischen Raum hineintragen. Diese Arbeit, die innerhalb der DGCC von den Fachgruppen und vom Vorstand getragen wird, ist für das zukünftige Verständnis von Care und Case Management zentral. U.a. ist es der Arbeit im KiT-Projekt zu verdanken, dass nach einer gescheiterten Gesetzesinitiative in 2024 Fallmanagement im SGB VI im Koalitionsvertrag der neuen Regierung 2025 aufgenommen wird.
Die politische Diskussion wird auf der Grundlage von wissenschaftlich erarbeiteten Projektergebnissen geführt. Damit werden Forschungsgrundlagen von CCM verstärkt diskutiert. Seit 2024 arbeitet eine Fachgruppe an Leitlinien zur Forschung im CCM.
2024 wird ebenfalls eine Arbeitsgruppe Care Management gegründet. Diese hat inzwischen Leitlinien zum Care Management formuliert, in denen Qualitätskriterien für Organisationen, regionale Netzwerke sowie für CCM auf sozialpolitischer und gesetzgeberischer Ebene formuliert werden. Geplant ist, diese in der Zeitschrift 4/2025 zur Diskussion zu stellen und sie in die dritte Auflage der (Care und) Case Management Leitlinien 2026 aufzunehmen. Ebenso wird an Grundlagen und Leitlinien für Forschung im CCM gearbeitet.
Zusammengefasst wird der 2015 beginnenden Profilierung ab 2018 eine Ausweitung der fachlichen Inhalte zur Seite gestellt insbesondere mit Blick auf Care Management auf der Organisationsebene. Ab 2023 werden innerhalb des Care Managements die politische und gesetzgeberische Ebene sowie Fragen nach Forschungsgrundlagen im CCM verstärkt diskutiert, ohne dass die anderen Ebenen an Bedeutung verlieren.
Geplant ist, dass sich die DGCC mit der Neuauflage der (Care und) Case Management Leitlinien 2026 mit formulierten Qualitätsstandards rund um die Weiterbildung und die Tätigkeit von Case Manager:innen, zum Case Management, zur Auditierung von Organisationen, zum Care Management und idealerweise zur Forschung als Grundlagen des Fachverbandes in den fachöffentlichen und politischen Diskurs einbringt. Dazu sind ein lebendiger Verein, der von vielen ehrenamtlich Tätigen getragen wird, und vielfältige fachliche und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten erforderlich. Das Thema der Komplexität, das im CCM auf mehreren Ebenen bearbeitet wird, widerspiegelt sich innerverbandlich in der Aufnahme unterschiedlicher Ebenen und Inhalte, die nicht kausal zueinander gestaltet werden können.
| 2011 | • Jugendamt der Stadt Greven: Netzwerkarbeit im Jugendamt der Stadt Greven • Kriminologischer Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf: Case Management im Strafvollzug. Das Modellprojekt INA • Stiftungsklinikum Mittelrhein – Gesundheitszentrum zum Heiligen Geist Boppard, Abteilung Case Management in Boppard: Praxisnahe Umsetzung des Handlungskonzepts Case Management |
| 2012 | 1. Preis: Lahn-Dill-Kliniken GmbH: Konzept zum Einsatz von Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege in der Abteilung Case Management |
| 2013 | 1. Preis: Deutsche Rentenversicherung Westfalen, Abteilung für Rehabilitation: Integrationsprojekt RehaFuturReal® – Berufliche Teilhabe integrationsorientiert gestalten 2. Preis: Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer/B. Braun Melsungen AG: Das „Speyerer Modell“ – ein sektorenübergreifendes Case Management-Projekt im Krankenhaus |
| Entscheidung: Preisauslobung alle 2 Jahre | |
| 2015 | 1. Preis: Landschaftsverband Westfalen-Lippe Klinik Dortmund, Abteilung Gerontopsychiatrie: Aufsuchende Pflegeberatung nach § 7a SGB XI – ein Nachsorgekonzept in der Gerontopsychiatrie für Menschen mit Demenz |
| 2017 | 1. Preis: Universitätsklinikum Dresden: SOS-Care – Hilfe nach Schlaganfall |
| Entscheidung: zunächst keine weitere Preisauslobung |
3. Aktueller Stand und Ausblick
A. Rahmendaten zur DGCC intern
Die Mitglieder haben auf der Mitgliederversammlung 2025 noch einmal bekräftigt, dass der Fachverband ein primär von den Aktivitäten ehrenamtlich Tätiger getragener Verein bleibt. Ein schneller Kontakt untereinander sowie die vielen Engagierten sind Grundlage für die Vielfältigkeit und die Fachkompetenz des Vereins, der auf die bundesdeutsche Entwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen Einfluss nimmt. Die Geschäftsstelle in Münster hat mithilfe von Ingo Füchtenbusch alle Geschäftsprozesse standardisiert. Alle Steuer- und Rechtsangelegenheiten sowie die Kassenführung werden seit vielen Jahren von Mona Frommelt getragen. Sie stellt damit seit Jahren eine zentrale Säule des Vereins dar. Alle Voraussetzungen sind geschaffen, dass die Kassenführung Anfang 2026 auf die Geschäftsstelle in Münster übergehen wird. Mit Hilfe von Anke Siebdrat wird ein Tagungs- und generelles Sponsoring-Konzept mit Unterstützung der Sponsoren für die DGCC erarbeitet, um dem Fachverband bestehende Aktivitätsmöglichkeiten zu erhalten und neue zu eröffnen.
B. CCM in der Weiterbildung
Mit den Zertifizierungsgrundlagen für die Weiterbildung verfügt die DGCC über eine anerkannte und bewährte Kompetenz mit Alleinstellungsmerkmal. Es war weitsichtig, die Anerkennungskommission getragen von unterschiedlichen Fachverbänden, unabhängig von der Vorstandstätigkeit einzurichten, um ihr eine möglichst große Autoritätszusprechung zu ermöglichen. Diese Anerkennung hilft auch der DGCC. Die Zertifizierungsgrundlagen wurden in den 20 Jahren immer wieder überarbeitet und erweitert. Auf der Mitgliederversammlung 2025 sind unter Feder- führung von Birgit Grosch und Christiane Bader alle relevanten Zertifizierungsgrundlagen in einem Dokument zusammengefasst worden. Die auf der Qualitätstagung 2024 von den Bildungsinstituten angeregten Vereinfachungen wurden besprochen und beschlossen. Die Fachgruppe Weiterbildung und die Anerkennungskommission nehmen laufend Anpassungen und fachliche Ergänzungen vor.
Über die Aktivitäten der DGCC hinaus ist Care und Case Management mittlerweile Lehrinhalt in vielen Bachelor- und Masterstudiengängen, vor allem in den Bereichen Soziale Arbeit und Pflege. Auch unterhalb des Umfangs des zertifizierten Qualitätsniveaus der DGCC gibt es vielfältige Schulungsangebote. Die Wahrung des Qualitätsniveaus durch die DGCC hat sich bewährt.
Angesichts des Akzents Care Management ist nicht ausgeschlossen, dass für Leitungskräfte oder Forschende spezifische Weiterbildungen auch durch die DGCC initiiert oder begleitet in Zukunft entstehen.
C. CCM in der fachlichen Entwicklung
Wird die fachliche Entwicklung auf der Mikro-, Meso- und Makroebene betrachtet, so kann festgestellt werden, dass die Entwicklung von Case Management auf der Einzelfallebene weit ausformuliert ist und spezifische Instrumente in unterschiedlichen Handlungsfeldern entstanden sind. Auch die Unterstützung durch Software ist ein vielfach berücksichtigter und entwickelter Inhalt, der weiter fortgeführt wird.
Auf der Ebene der organisations- und regionbezogenen Versorgungsstrukturen (Mesoebene) gibt es vermehrt Projekte und Aktivitäten. Innerhalb der DGCC kann mittlerweile auf vielfältige Erfahrungen auch mit großen Leistungsträgern wie der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung zurückgeblickt werden. Drei Organisationen konnten inzwischen auditiert und zertifiziert werden. Die Leitlinien Care Management werden diese Erfahrungen und Wissensinhalte zusammenfassend und grundlegend formulieren. Die Entwicklung von Tools und klaren Methodenbeschreibungen kann auf dieser Ebene angesichts der Heterogenität der Leistungsträger und Leistungserbringer sowie der unterschiedlichen Voraussetzungen der kommunalen Versorgungsregionen weiter ausdifferenziert werden.
Auf der Ebene der sozialpolitischen Rahmengestaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene (Makroebene) gibt es erfolgreiche und vielversprechende Projektarbeiten und engagierte Akteure. So ist Fallmanagement im Koalitionsvertrag für das SGB VI aufgenommen worden. Zugleich sind vielfältige Veränderungen der Rahmenbedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen angekündigt, die auch das Care und Case Management betreffen. Die DGCC ist gut beraten, wachsam zu bleiben und sich in den politischen Diskurs einzubringen, denn auf dieser Ebene werden die zukünftigen Rahmenbedingungen der Umsetzung des CCMs festgelegt. Zugleich gibt es im politischen Diskurs Verbände, Lobbygruppen und Organisa- tionen, die – professionell vertreten – mit anderer Kraft als ein ehrenamtlich getragener Verein tätig sind. Es hat sich bewährt, dass die DGCC an dieser Stelle ihre hohe Fachlichkeit und jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit CCM im Kern bewahrt, zugleich verändernde Entwick- lungen aufnimmt, sich auf eine immer breitere Grundlage stellt und sich mit dieser Fachlichkeit in den öffentlichen Diskurs einbringt.
Im Rahmen der fachverbandlichen Arbeit wurde eine Übersicht über CCM in der Sozialgesetzgebung erarbeitet (Mennemann/Klie 2023). Häufig werden Einzelaspekte des CCM in der Sozialgesetzgebung aufgegriffen. Wird der demokratische Sozialstaat beschrieben mit dem Auftrag, Individualrechte und Gemein- schaftsvorgaben auszutarieren, so werden mit Case Management und Care Management beide Aspekte in den Blick genommen. Das macht CCM flexibel und zukunftsfähig. Werden Individualrechte, Freiheit und Vielfalt überbetont, so entsteht ein freiheitlicher, individualrechtlicher Pluralismus, der komplexe Veränderungsanforderungen und eine überfordernde Vielfalt mit Kontrollverlust und ein instabiles Versorgungssystem zur Folge haben kann. Dies wäre ein beliebtes Einfallstor für rechtspopulistische Meinungsbildung. Mit CCM werden beide Seiten der Waage des demokratischen Sozialstaats gestärkt. Die DGCC hat in den 20 Jahren immer mehr beide Seiten fachlich in den Blick genommen und gestärkt (Abb. 3).
Die Vielfalt von CCM-Modellen zeigt sich in den unterschiedlichen Handlungsfeldern. In den Fachgruppen der DGCC sind handlungsfeldbezogene, spezifische, fachliche Positionierungen, umfangreiche Konzepte und politische Stellungnahmen entstanden. Es ist der Arbeit der Fachgruppen und ihren Sprecher:innen zu verdanken, dass CCM im Sinne der Standards der DGCC in alle SGB-relevanten Handlungsfelder Einzug gehalten hat. Auf der konkreten Handlungsebene sind jeweils qualifizierte Instrumente und Tools entwickelt worden. Die entstandene Breite und Tiefe ist beachtlich. Dabei gehen die Aktivitäten zum CCM im Sinne der DGCC über die Fachgruppenarbeiten hinaus. Wolf Rainer Wendt und Martin Klein sind etwa im Bereich der Betrieblichen Sozialen Arbeit aktiv. Und Birgit Grosch beschäftigt sich im Rahmen der Weiterbildung im Bereich der Bundeswehr mit der Frage nach der Unterstützung traumatisierter Soldat:innen. In den jeweiligen Handlungsfeldern und dann noch einmal in den Regionen und Organisationen erhalten die handlungsfeldübergreifenden Standards eine spezifische professions-, regionen- und organisationsbezogene „Färbung“. CCM ist als Konzeptgrundlage vielfältig anwendbar. Jede Implementierung enthält neue Aspekte.
| Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt | 16.06.2005 (Mainz) – 25.06.2015 (Köln) |
| Prof. Dr. Peter Löcherbach | 25.06.2015 (Köln) – 23.06.2022 (Münster) |
| Prof. Dr. Hugo Mennemann | 23.06.2022 (Münster) – 28.05.2026 (Dresden) |
| Prof. Dr. Stefan Schmidt | ab 28.05.2026 (Dresden) (gewählt am 26.06.2025 in Erkner für die Amtsperiode 2026-2030) |
| Ehrenvorsitzender: Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt (seit 25.06.2015) Ehrenmitglied: Prof. Ruth Remmel-Faßbender (seit 20.06.2024) |
|
Für die Entwicklung im Bereich der Forschung ist eine vergleichbare Dynamik auszumachen. Einerseits gibt es Praxisentwicklungs- und Forschungsprojekte seit den 1990er Jahren. Es wurden viele erfolgversprechende Erkenntnisse erzielt. Andererseits fehlen in der Forschung häufig eine fachliche Manualtreue und Vergleichbarkeit sowie – angesichts der Komplexität von CCM – evidenzbasierte Sicherheiten. Forschung im CCM ist ausbaufähig. Sie braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Leitlinien zur Forschung im CCM werden in der DGCC erarbeitet. Sie sollen Wissenschaftsbegleitungen vieler Case Management-Praxisprojekte eine stärkere Manualtreue und methodische Klarheit verleihen. Vor allem ist zu fordern, dass unterschiedliche Implementierungsgrade von CCM in der Praxis transparent dargestellt und unterschieden werden, um die erarbeiteten Evaluationsdaten einordnen und besser miteinander vergleichen zu können.
In der internationalen Zusammenarbeit erweisen sich die Treffen mit der ÖGCC und dem Netzwerk CM in der Schweiz zusehends als wertvoll, konstruktiv und produktiv. Die gemeinsam erarbeiteten Begriffsgrundlagen betonen die Einbettung des Case Managements und des Care Manage- ments im Care (Verständigung 2025). „Care“ bezieht sich dabei auf gesellschaftliche Sorgestrukturen und individuelles Sorgen. Der Name der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management erweist sich auch 20 Jahre nach Gründung als klug gewählt, denn „Care“ im Namen kann sich sowohl auf gesellschaftliches und individuelles Care als auch auf Care Management beziehen. Damit entstehen vielfältige Konzept- und Handlungsmöglichkeiten, die noch lange nicht ausdiskutiert und im Zusammenwirken zwischen gesellschaftlich sich verändernden Herausforderungen und Rahmenbedingungen einerseits und individuell zusehends komplexen und differenzierten Hilfesituationen andererseits ausformuliert sind. Das Gesamt von Care und Case Management ist flexibel in den Verbindungen zueinander sowie im gesellschaftlich-historischen Veränderungspro- zess immer wieder neu zu betrachten und zu bewerten, mit Blick auf konkrete Programme und Modelle.
Zwar liegt ein Ursprung des Case Managements im anglo- amerikanischen Bereich und durch Einzelaktivitäten wer- den Entwicklungen vor allem in den USA und in Asien punktuell im deutschsprachigen Diskurs aufgenommen (zu nennen sind hier vor allem Aktivitäten von Wolf Rainer Wendt, Corinna Ehlers und Stefan Schmidt). Eine systematische Aufarbeitung zur Bereicherung der Konzeptentwicklung von CCM in Deutschland steht jedoch aus.
Vor allem Case Management hat längst eine breite Öffentlichkeit erreicht. Es ist nicht mehr Wissensbestand einiger weniger Interessierter und spezifischer Professionen. Die Veröffentlichungen zum CCM sind vor allem angesichts vieler Praxisentwicklungs- und Forschungsprojekte kaum noch zu überschauen. Eine Gesamtschau auch mit Blick auf die unterschiedlichen Verständnisse der Begriffe und Konzepte zu Care und Case Management, zu Lotsen-Konzepten und zum Fallmanagement ist eine Herausforderung.
Im medhochzwei Verlag sind über 620 Fachartikel, eine Buchreihe und eine Lehrfilmreihe mit ideenreicher Unterstützung vor allem von Annette Xandry entstanden. Die Aktivitäten auf der Homepage der DGCC werden immer wieder profiliert – in den letzten Jahren vor allem dank der Arbeiten von Michael Monzer und Andreas Büsch. Eine stärkere Präsenz im Bereich Social Media wird in die Wege geleitet.
Aus den ersten Veröffentlichungen Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre von Wolf Rainer Wendt sind in der fachlichen „Tiefe“ und in der „Breite“ der Ebenen und Handlungsfelder vielfältige Veröffentlichungen und Praxis- modelle entstanden. Gerade angesichts des Erfolgs und der Normalisierung des Gebrauchs der Begriffe Care und Case Management, Lotsen und Fallmanagement bleibt die Bewahrung und Weiterentwicklung der fachlichen Qualität Herausforderung und Aufgabe, um das Sozial- und Gesundheitswesen am Bedarf der Personen, die Unterstüt- zung benötigen, so qualifiziert wie möglich auszurichten. Der Weg der DGCC geht weiter …
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (Hrsg.) (2020): Case Management Leitlinien. Rahmenempfehlungen, Standards und ethische Grundlagen. medhochzwei Verlag: Heidelberg, 2., neu bearbeitete Auflage (1. Auflage 2015).
- Löcherbach, Peter (2015): Case Management in der vierten Generation oder: The Next Generation CM. In: Case Management 3, S. 120-128.
- Mennemann, Hugo; Klie, Thomas (2023): Case Management-Bezüge in den Sozialgesetzbüchern – eine Synopse. In: Case Management 1, S. 11-18.
- Soziale Arbeit, Care und Case Management, Kooperationspartner:innen kommen zu Wort (2025). In: Forum Sozialarbeit + Gesundheit 2, S. 46.
- Verständigung der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management, des Netzwerkes Case Management Schweiz und der Österreichischen Gesellschaft für Care und Case Management über Leitlinien zu Care, Care Management und Case Management (2025). In: Case Management 1, S. 26-29.
- Wendt, Wolf Rainer (2015): Case Management in den ersten drei Jahrzehnten – das Vorspiel zur DGCC. In: Case Management 3, S. 116-119.
